Stefan Scherer | Kunst und Texte | Haupeltshofer, Mairgünther, Kolenc – Auf einer Linie | 18.04.2011 – Galerie im Ganserhaus
Ich möchte mit einem Zitat aus dem Vorwort von Dr. Andreas Strobl von der graphischen Sammlung der Pinakothek der Moderne aus Bernhard Haupeltshofers Katalog beginnen: “Die unbegreiflich genaue Verwirrung“
Das trifft es deswegen so gut, weil diese eine Linie, dieses Instrument oder Vehikel mit dem sich unsere drei Zeichner und Zeichnerinnen künstlerisch fortbewegen erst mal so klar und präzise daher kommt. Man fühlt sich schon erlöst, einfache Zeichen denkt man und so etwas wie Schrift, klare Formen wie bei Ruth Mairgünther, dasselbe auch bei Aleksandar Kolenc – ein bisschen inflationärer vielleicht.
Es ist aber nur der erste Schritt, quasi der Sicherheitsabstand. Diese Sicherheit verliert man sofort, trotz aller Zeichen und Versprechungen, wenn man den äußerlichen wie innerlichen Abstand aufgibt und sich auf die hier gezeigten Werke einlässt. Es ist einfach unsere Gewohnheit den Dingen, die wir sehen oder die uns begegnen sofort eine Bedeutung zuordnen zu wollen und umso grösser ist die Irritation, wenn die vermeintlich klaren Zeichen kein bequemes Erkennen für uns übrig haben, sondern eben nur – und eben gerade – diese „unbegreiflich genaue Verwirrung“. Das aber genau ist das Abenteuer und der Lohn für Kontrollverlust und Verzicht auf schnelles Erkennen, dafür gibt es unmittelbares Erleben, wuchernde, phantastische Welten, überbordende Bilderzählungen, das Weltwissen abbildende Diagramme und Seelenlandschaften wie unbewusste Nebenbei-Kritzeleien.
Zeichnung ist ein spontanes und weitreichendes, künstlerisches Medium. Unterschiedliche Realitäten werden ausgebreitet. Zudem ist es ein Medium, das an die Alltagserfahrungen der Betrachtenden anknüpft. Jedes Kind zeichnet – und ich wär dafür fast mal von der Schule geflogen – jeder Erwachsene kritzelt alltäglich, macht ein Plan, skizziert eine Wegbeschreibung oder versucht ein einfaches Schaubild.
Auch deshalb nun ein bisschen zur Geschichte der Zeichnung. Ich erspar ihnen aber das meiste. Also hier nur ein paar Eckdaten. Die ältesten bekannten Zeichnungen sind ca. 20.000 Jahre alt, (Lascaux und Altamira) und inhaltlich eher magisch-religiös. Eine wichtige Weiterentwicklung macht die Zeichnung ab etwa 3000 vor Christus in Ägypten und später im römischen Reich mit dem Fresko, also dekorative Wandmalereien, die oft Spuren von Zeichnungen aufweisen. Im Mittelalter hat die Zeichnung dann nicht nur Bedeutung als Mittel des Entwurfs, sondern gewinnt insbesondere in der Buchmalerei einen Entwicklungshöhepunkt. Im 15-ten Jahrhundert beginnt die Zeichnung an Eigenständigkeit zu gewinnen. Die wichtigste ästhetische Neuerung zu dieser Zeit ist die Entwicklung der Zentralperspektive und das neue Bemühen um realistische Darstellungen. Einen neuen Höhepunkt erreicht sie in der italienischen Renaissance, bekommt als Mittel des Studiums und als Entwurfsmedium eine besondere Bedeutung und wird zum erstmals auch zum beliebten Sammlerobjekt. Im Barock und Rokoko dominiert die Malerei den Zeichenstil. Bedeutendster Zeichner dieser Zeit ist Rembrandt. Im 18-ten Jahrhundert schafft die Neuentwicklung von Buntkreiden und Pastellfarben neue Impulse für die Zeichnung. Herausragend zu dieser Zeit ist „Henry Watteau“. Die Zeichnung gewinnt nun immer stärker an unterschiedlichen Gestaltungselementen, wie z. B. die enge Verbindung von Zeichnung und Aquarell. Die moderne Zeichnung ist seit Ende des 19-ten Jahrhunderts geprägt durch eine große Freiheit in der Wahl der Mittel, die aber die Grenze zwischen Malerei und Zeichnung immer weiter verwischt. In einigen Richtungen, etwa dem Pointilismus und Impressionismus scheinen zeichnerische Mittel ganz zu verschwinden und im Expressionismus weicht die Linie dem ausdrucksstarken Strich. Auf der anderen Seite finden sich bei Picasso Gemälde, die aus nichts weiter als der Linie aufgebaut sind. Die klassischen Kriterien zur Unterscheidung von Zeichnung und Malerei lösen sich auf und ein erklärtes Ziel der Kunstbewegungen in der ersten Hälfte des 20-ten Jahrhunderts ist damit erreicht. Aufgrund der Uneindeutigkeit der zeichnerischen Mittel spricht man von einer Krise in der Zeichnung der Moderne. Die ästhetische Hochkultur konzentriert sich auf Malerei, Skulptur und Architektur. Als eigenständiges Medium erlangt die Zeichnung vor allem Bedeutung in der Popkultur in Gestalt von Karikatur und Comic.
Ganz unabhängig davon ist die zeichnerische Produktivität seit Ende des 2. Weltkriegs ungebrochen. Zeichner wie Alberto Giacometti, Horst Jansen, Gunter Böhmer, Martin Kippenberger und A. R. Penk haben auf ihre Weise der modernen Zeichnung neue Impulse gegeben und auch diese Ausstellung mit den Arbeiten von Bernhard Haupeltshofer, Aleksander Kolenc und Ruth Mairgünter steht entgegen aller akademischen Krisenvermutung für Kontinuität und Innovation in der Zeichnung der Moderne.
Bernhard Haupeltshofer gab mir folgenden Satz von Yves Bonnefoy mit auf den Weg. „Poesie ist Zeichnung, Zeichnung heißt, was man besitzt, verlassen, preisgeben.“ Und so wie ich das verstehe, ist es die Kunst des Loslassens, die Poesie als Freiheit von Absicht und Vorstellung mit der er ans Werk geht.
Dazu schreibt Dr. Andreas Strobel von der Graphischen Sammlung der Pinakothek der Moderne: „Manche seiner Linien suggerieren eine Räumlichkeit, die doch ebenso wieder in die Fläche des Papiers umkippt. Alles bleibt in einem eigenartigen Schwebezustand. Es entstehen Bilder, die weder darstellen noch gegenstandslos sind. Durch Nachfahren der Linie mit weißer Kreide löscht Bernhard Haupeltshofer einen Teil der Zeichnung wieder aus. Die Linien gewinnen durch diese zweite Schicht eine malerische Qualität und geben dem Strich eine Plastizität, die noch eine andere Räumlichkeit andeutet. In dieser Technik hat er sich eine unverwechselbare Bildsprache angeeignet. Und so entstehen scheinbar mühelos diese kaum definierbaren Strukturen, die der Künstler mit traumwandlerischer Sicherheit setzt.“
Nicht zuletzt aber ist Bernhard Haupeltshofer auch ein feinsinniger und humorvoller Tanka- und Haiku-Dichter. Tanka, das ist eine sehr alte reimlose, japanische Gedichtform, die den Augenblick beschwört und der aus dieser Form hervorgegangene „Haiku“ ist vereinfacht gesagt, eine humorvolle Variante und gilt zudem als die kürzeste Gedichtform der Welt. Bernhard Haupeltshofer selbst nennt sich einen „Kaligraphen im Exil“ und ich freu mich sehr, dass wir heute seine Zeichnungen, Kaligraphien, Haikus und Tankas im Ganserhaus erleben dürfen.
Die Zeichnung war und ist ein Schlüsselmedium der Wirklichkeitsaneignung und im Besonderen dies gilt in der künstlerischen Haltung Ruth Mairgünther, deren Arbeiten in ihrer zurückgenommenen Farbigkeit, ihren Pinselzeichnungen und Lavuren zu den Graphit- und Kreidezeichnungen Haupeltshofers einen fast musikalischen Kontrast bildet. Um sich dem Werk der Künstlerin zu nähern, ihren Motiven und künstlerischen Auffassungen, fand ich in ihrem Katalog einen sehr hilfreichen und schönen Text.
Ruth Mairgünther schreibt: „Meiner Arbeit als freischaffende Künstlerin liegt eine intensive Auseinandersetzung mit Wirklichkeit und Identität zu Grunde. Der künstlerische Arbeitsprozess beginnt für mich in einer größtmöglichen Offenheit und Freiheit auf der Suche nach Eigenständigkeit und Authentizität für das jeweilige Werk. Welche bildnerischen Mittel ich dabei verwende, entscheide ich aus der jeweiligen Situation. Sich einlassen auf Unbekanntes, spielerisches Unterwegssein, aufmerksam das Werden beobachten, Hinweise wahrnehmen und reflektieren um das Wesentlich zu erkennen. All das gehört für mich untrennbar zum Prozess der Bildfindung.“
Und noch einen Satz fand ich im Katalog „Das Zeichen führt mich immer wohin“ …und als Betrachter ihrer Arbeiten kann man sich von diesem Satz ganz wunderbar leiten lassen in das spielerische Unterwegssein von Bild zu Bild und in eine Welt der unbekannten Zeichen.
„Schräg statt parallel zur Natur“ ist eine Formulierung von Paul Klee und „alle Formen singen JA und Will!“ ist eine von Aleksander Kolenc und beide Formulierungen zusammengenommen vielleicht der Schlüssel zu einem größeren Verständnis, eventuell sogar zu einer tieferen Bewusstseinsebene auf der diese seltsame Anziehung stattfindet, welche von Aleksander Kolencs Zeichnungen ausgeht. Ein surrealer Kosmos organischer Formen, ein Orgie innerer Organe, weibliche und männliche Genitalien, weitgehend ohne größeren anatomischen Zusammenhang in einem abstrakten Raum. Das ganze erscheint trotz einer zumindest gestalterischen Ordnung sowohl im Inhalt, als auch der Form nach ausufernd und rahmensprengend.
Im Widerspruch dazu steht die fast lakonische Art der Zeichnung. Weder die Stärke des Strichs noch sonst irgendetwas Gestisches stört den ruhigen, gleichmäßig fließenden Strich der Zeichnung. Ich machte mir die Mühe, die ich anfänglich fürchtete bis sich herausstellte, welches Vergnügen es eigentlich war der einzelnen Linie, die mir so unendlich schien mit den Augen zu folgen. Und ich geriet in einen surrealen Sog, in etwas Hypnotisches, das mich fern von formaler Bedeutung und dem eigentlichen Inhalt der Zeichnung „das Singen der Formen“, ihren Rhythmus und ihre Melodie – wie ich glaube – verstehen ließ und ich bin Aleksandar Kolenc sehr dankbar für dieses überaus subjektive Erlebnis. Und ich differenziere hier gern auch zwischen erleben und erfahren. Wirkliche Erfahrung, also etwas, was ich man mit nach Hause nehmen könnte, – außer Kolencs Zeichnungen selbst natürlich, was ich sehr empfehle, man kann sie kaufen – hab ich nämlich nicht.
Wie ich jetzt vermute, wird es den meisten Anwesenden genauso gehen und ich kann sie nur beglückwünschen zu diesem Mangel an Erfahrung, die sich so oft, wie ein Visier vor unsere Wahrnehmung schiebt und uns das Erleben von Gegenwart erschwert – eben dieser Mangel an Erfahrung ist es, der uns hier in dieser Ausstellung so ideal qualifiziert für „die unbegreiflich genaue Verwirrung“ und die Fähigkeit und die Lust auf dieser einen Linie den Künstlern Bernhard Haupeltshofer, Aleksandar Kolenc und Ruth Mairgünther zu begegnen.
Stefan Scherer | 18.04.2011
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