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Birgit Jung | Biographie der Farbe

Stefan Scherer | Kunst und Texte | B. Jung – Biographie der Farbe | 09.10.2013 – Urologische Klinik München-Planegg

 

Der Einstieg in alle guten Reden ist wohl dieser berühmte, erste erhellenden Satz, quasi die Grundbeleuchtung aller folgenden Ansichten und bei Rednern ungefähr so beliebt und gefürchtet wie die weiße Leinwand bei Malern. Jeder hat da so seine Tricks, Schiller z. b. hatte ‐ wie wir alle wissen ‐ einen faulen Apfel in der Schublade, bei den französischen Spätimpressionistischen war es der Absinth und ich muss immer erst eine halbe Stunde mein Atelier putzen bevor ich loslegen kann.

 

Birgit Jung von deren so farbintensiven Arbeiten wir heute in ihrer Ausstellung umgeben sind hat da seit einiger Zeit einen besonderen Kunstgriff. Vor allen kreativen Überlegungen, Einfällen und Grübeleien grundiert sie erst einmal ihre Leinwände mit Asche und das ist, wie sie mit erzählte weit mehr als eine Kreativstrategie. Diese spezielle Aschegrundierung nämlich, dieser erste Schritt ins leere Weiß der Leinwand ist unter anderem Ausdruck ihrer tiefen Verbundenheit zur Geschichte unserer speziell deutschen Kultur, ihrer Schöpfer und im besonderen Ihrer Opfer. Damit positioniert sich Birgit Jung sowohl künstlerisch, als auch kulturhistorisch in ihre/unsere Zeit mit aller Empathie und Gestaltungskraft, die ihr als Künstlerin zu Verfügung steht. Denn es ist, wie sie sagt ‐ die Asche unserer Vorfahren, die Trümmer ihrer Kriege und Verwüstungen, also das was die Erde mischt auf der wir stehen und unseren Standpunkt ausmacht.

 

Diese besondere Verbindung aus künstlerischer Haltung und soziokulturellem Selbstverständnis erklärt sich aber nicht nur aus den vielen biographischen Wegmarken und Einschnitten im Leben Birgit Jungs, sondern auch aus ihrer Tätigkeit als Kunsttherapeutin. Ich selbst war einige Jahre Dozent bei der Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalytische Kunsttherapie in Hamburg und München und zitiere hier gerne meinen Maler‐ und Rednerkollegen Reinhard Fritz, der die Kunsttherapie wie folgt beschreibt:

“ … sie ist so ein Transfer‐Medium. Sie visualisiert mit ihren bildnerischen Verfahren komplexe psychische Situationen. Das so entstandene Ergebnis wird als Zwischenstation auf dem Weg der Persönlichkeitsentwicklung gewertet. Besonderen Wert legt die Kunsttherapie daher auf das Authentische, misstraut dem schnell gelungenen Ergebnis und hinterfragt hartnäckig das Oberflächliche.“

Ich benutze dieses Zitat deshalb so gerne, weil das soeben beschriebene Konzept in allen genannten Punkten genauso auch für Birgit Jungs Arbeitsweise gelten könnte.

 

„Sie visualisiert mit ihren bildnerischen Verfahren komplexe psychische Situationen“;….nämlich ihre eigenen. Und weiter heißt es im Zitat: „Das Ergebnis wird als Station auf dem Weg der Persönlichkeitsentwicklung gewertet.“ Und das hat sie, so bin ich überzeugt mit allen Künstlern gemeinsam. Jeder Fortschritt im Werk, jede malerische Erfindung oder konzeptionelle Erweiterung hin zur künstlerischen Vervollkommnung ist immer auch zugleich ein Fortschritt in der Entwicklung der eigenen persönlichen Reife. Denn Kunstmachen oder Malerei erfordert ja viel mehr, als nur kunsthandwerkliche Geschicklichkeit. Es ist vor allem die Fähigkeit auf die seelisch‐geistigen Anlagen, wie Intuition, Assoziationsund Improvisationsgabe zugreifen zu können und auf ein Bewusstsein der persönlichen Fallen aus Eitelkeit oder Ungeduld und schließlich das Aushalten des Zweifels und des „Aufsich‐ zurückgeworfen‐seins“ in einem ratlosen Atelier. Alles Fähigkeiten die, wie ich glaube man/frau in einem Krankenhaus genauso gut brauchen könnte und das auf beiden Seiten, also die Patienten und der Ärzte. Aber dazu komme ich später noch einmal.

Zum Schluss des Zitats heißt es dann noch: „Besonderen Wert legt sie, die Kunsttherapie daher auf das Authentische, misstraut dem schnell gelungenen Ergebnis und hinterfragt hartnäckig das Oberflächliche.“  Auch diesen letzten Teil könnte man als präzise Beschreibung der Arbeitsmethoden BirgitJungs gelten lassen. Wobei ich aber das Wort „oberflächlich“ im Wortsinn benutzen wollen würde, nämlich als die Oberfläche der Malerei. Denn die so charakteristisch und unverkennbar von Birgit Jung bearbeiteten Leinwände bestehen hauptsächlich aus den Spuren, Zeichen und Schichten einer malerischen Befragung der Bildoberfläche.

 

Das was wir auf Birgit Jungs Bildern sehen ‐ und erst mal nur was wir „sehen“ und nicht etwa denken oder interpretieren ist das Ergebnis eines dialogischen Prozesses durch, übermalen, zeichnen, verwerfen, durch Farbe auftragen und entfernen, verwischen oder abkratzen, welches die Malerei Birgit Jungs so unverkennbar macht. Besonders augenscheinlich wird das in ihrer rot‐orange leuchtenden Acrylmalereien „Kontemplation IV“ oder der erdigeren „Kontemplation I“ aber auch im ihrem zeichenhaften Diptychon „Lebensweg“ hier im Foyer. Wenn sie sich das näher anschauen, sehen Sie die Zeichen der Machart, die Bewegungen von Pinsel oder Spachtel, den Duktus und Rhythmus ihrer Arbeit, also den in ihrer Malerei so wichtigen “human touch“ mithin die sichtbaren Eingriffe in die Farbfelder oder die handgemachte Wucht einer Schüttung. Diese Sichtbarkeit der Machart oder die augenscheinliche, malerische Bemühung auf einem emotionalisierend gestalteten Farbgrund ist nämlich eigentliche Erzählung. Und sie verzichtet dabei radikal auf Form oder Illusion oder Wiedererkennung und noch radikaler auf Botschaft oder gar gemalter Erkenntnis. Der Erkenntnisgewinn liegt viel mehr im Auge oder besser im Herzen des Betrachters, der sich erlauben sollte Birgit Jungs Malerei als persönliche Assoziationsfläche wahrzunehmen und als Spielfeld seiner subjektivsten Gedanken und freiesten Gefühle.

 

Bis hin zu dieser Art Malerei und vor allem unserer postmodernen Betrachtungsfreiheit war es aber ein langer Weg und so ist die „Biographie der Farbe“ und ihre Emanzipation als Dienstleister der Form nicht nur die persönliche Geschichte in Birgit Jungs Malerei, sondern auch ein kunsthistorisches Ereignis Die moderne Kunstgeschichte spricht heute von abstraktem Expressionismus, was ein bisschen generell ist. Birgit Jungs Malerei jedenfalls enthält viele Bestandteile der neueren Kunstgeschichte vom deutschen Informell des Emil Schuhmacher bis zum amerikanischen Actionpainting von Jackson Pollock, den Farbfeld‐malereien Marc Rothkos oder des erst kürzlich verstorbenen Gotthard Graubners, dessen Werk wohl jeder schon mal gesehen hat, der im Fernsehen mal eine Ministerernennung oder einen Bundespräsidenten‐ Rücktritt im Schloss Bellevue gesehen hat. Es ist diese riesige zartviolette Farbfeldmalerei im Hintergrund und Graubner war wohl der wichtigste Vertreter diese Genres und ich weiß von Birgit Jung, dass Graubners Malerei einen starken Einfluss auf ihre Arbeit hatte. Graubner nämlich setzte sich in seinem Werk ähnlich, wie Birgit Jung mit der Farbe als alleinigen Gegenstand der Malerei auseinander. Und auch er vorbehandelte seine Leinwände. Während Birgit Jung sie mit Asche grundiert, spannte er synthetische Watte auf den Keilrahmen. Und annähernd wie Grauber trägt die Malerin Jung viele Schichten Farbe bzw. Lasur auf, wobei die Saugkraft des Untergrunds eine Rolle spielt. Entscheidend für die Farbwirkung ist in unterschiedlicher Weise die Intensität der Malweise. Bei beiden entstanden und entstehen so Farblandschaften mit zu Kontemplation einladender Ruhe; vielfarbigen Werken stehen monochrome Bilder mit feinsten Farbnuancen gegenüber. Das Konzept Graubners das Eigenleben der Farbe zu entwickeln, um sich vom Anspruch zu befreien etwas anderes darstellen zu müssen als sie selbst, gilt ebenso für die Malerei Birgit Jungs.

 

Und einen weiteren Schlüssel zum Werk darf ich ihnen an die Hand geben. In den Vorgesprächen zu dieser Ausstellung schickte mir Birgit ein paar sprachliche Assoziations‐ketten zu ihrer Malerei, die ich in ihrem Inhalt und Duktus und als literarische Parallel‐kunstwerke empfand. Zu ihrem Grundstoff Asche beispielsweise schreibt sie: Asche ‐ übrig geblieben ‐ Metamorphose ‐ Rest ‐ Essenz ‐ materielle Spur ‐ Vergänglichkeit ‐ erzählt ‐ Staub ‐ Spur ‐ doch auch wieder Reinheit. Und zu ihrem Zyklus der „scrapings“, also ihrer gekratzten und gespachtelten Bilder lieferte sie mir diese aufschlussreiche Sprachkette: Draufgeben ‐ wegnehmen ‐ die Balance finden ‐ geben und nehmen ‐ Einfluss nehmen ‐ Eindruck machen – zudecken‐ öffnen – wischen – abziehen – scrapen. Und ganz zum Schluss ihre sehr poetische Reflexion über die Katharsis des künstlerischen Gestaltungswillens: „Gedanken, die das Wort nicht finden durchbrechen die Sprachlosigkeit. Beginn des Lebens in der Farbe, suchend, verzweifelnd, besänftigend, erlösend.“

 

In diesen letzten vier Worten schwingt nun ein bisschen das an, auf das zu kommen ich zu beginn versprach, nämlich auf die für die künstlerische Arbeit so notwendigen Fähigkeiten, die auch in diesem Hause eine besondere Bedeutung besitzen aber auch Birgit Jungs Beweggründe beleuchten. Suchen, verzweifeln, besänftigen, erlösen. Das ist im weitesten Sinne ein Heilungsprozess. Das aber sollte man ganz unbedingt richtig verstehen, weil in unserer Zeit den Künstlern und der Kunst sehr viel an überfrachteten Erwartungen

 

zugemutet wie u.a. im Bilderfetischismus teurer Livestil‐Galerien, bis hin zur ihrer para‐religiösen Ersatzfunktion in den Museen. Was Kunst aber immer war ‐ von Michelangelo bis van Gogh ‐ ist auch der Versuch der Selbstheilung, als Sublimierung und Kompensierung großer Lebenssehnsucht aber auch eines tief empfundenen Leids. Und so könnte man sagen, sind Birgits Jungs Arbeiten hier an einem sehr richtigen Ort, denn ihre großen Kunst‐ und Lebensthemen gründen nicht nur auf ihrer biographisch‐bedingten Empathie mit den Opfern der Nazi‐Apokalypse, sondern auch und nicht zuletzt auf der selbsterfahrenen Überwindung großer, auch gesundheitlicher Lebenskrisen.

 

„Wer heilt hat recht“ heißt es und ich als Maler würde ergänzen. „Wer malt, nicht immer“ denn gerade die kreativen Irrtümer, das malerische Risiko, das Trial and Error, ‐ wie wir es hier in dieser Ausstellung mit der Prozessmalerei von Birgit Jung schöner und ästhetischer nicht finden können ‐ , ist wie die visualisierte Metapher über die Kunst des produktiven Scheiterns und die Kraft sich aus der Asche der historischen und persönlichen Tragödien neu zu erfinden in der ganzen Schönheit von Form und Farbe.

 

Stefan Scherer | 09.10.2013

 

www.birgitjung.com

 

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