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Tamara Crimmann | bekannt – unbekannt

Stefan Scherer | Kunst und Texte | Crimmann – bekannt-unbekannt | 25.02.2014 – AK68 – Galerie im Ganserhaus

 

Mit Tamara Crimmanns Ausstellung, „bekannt unbekannt“ ist es tatsächlich gelungen annähernd das komplette „who is who“ der Wasserburger Gesellschaft im Ganserhaus zu versammeln, – und das gleich in mehrfacher Ausführung: nämlich heute Abend als anwesende Gäste, als Modelle brillanter Porträts und nicht zuletzt, als durch die Beweiskraft der Fotografie existentiell bestätigte Mitmenschen. Diese Beweiskraft nämlich, der im Zeitfenster des Auslösers gefangenen Zeitgenossenschaft oder ihrer Vergangenheit überlassen wir seit ca. hundert Jahren der Fotografie und all ihren Abkömmlingen in den neuen Medien und übergeben ihr so gleichsam das Patronat über die Wirklichkeit. Und so ergaben sich in diesem Bewusstsein bei der Planung und thematischen Aufarbeitung des Ausstellungskonzepts zwischen Tamara und mir viele Diskussionen über die richtige Präsentation von „Wirklichkeit und Wahrheit, Kunst oder Dokumentation“…und Tamara und ich waren uns da nicht immer einig.

 

Als Maler, Künstler und Bildbetrachter hab ich – oder sollte ich sagen, hatte ich – ziemlich betonierte Ansichten, wie man zu Bildern kommt.Meine Vorstellungen mäandern da zwischen neugieriger, fast kindlicher Akzeptanz und enthaltsamen Gewährenlassens der Dinge und Ereignisse, die mich interessieren und sind beständig geneigt der Unbeholfenheit, der Naivität und Aufrichtigkeit den Vorzug vor oberflächlicher Glätte und Künstlichkeit zu geben. Ich sah den künstlerischen Mehrwert immer in der Überraschung, dem Ungeahnten zwischen Banalität und Absonderlichkeit und weniger in der absichtsvollen Inszenierung.

 

Und was macht Tamara? Sie lässt ihre Modelle mitten in die Kamera gucken, fordert ihr Motiv auf sich selbst zu inszenieren und unterstützt es noch dabei, so dass nun auch die Selbstinszenierung unmittelbar kontaminiert ist. Was ist da jetzt Wahrheit und Wirklichkeit? Tamara erklärte mir darauf hin, dass Ihre Wahrheit darin läge, die Modelle in ihrer Selbstinszenierung so natürlich wie möglich agieren zu lassen und meine Recherchen über den Sprachstil des Fotoporträts belehrten mich zusätzlich, dass der Blick in die Kamera Feierlichkeit und Offenheit bedeutet aber eben auch die Enthüllung der wahren Natur des Modells. Unter anderem gilt deshalb die Frontalaufnahme als geeignet für festliche Anlässe aber weniger für Wahlkampfplakate. „Politiker werden zu diesem Zweck gerne im Viertelprofil fotografiert. Ihr Blick wirkt dann eher schweifend, als direkt auf den Betrachter gerichtet und impliziert statt der Beziehung zum Zuschauer und zur Gegenwart eine erhabenere und abstraktere Beziehung zur Zukunft“, – erklärt Susan Sonntag in ihren Essay über Fotografie.In Bezug auf unsere Ausstellung könnten wir daraus schon mal ableiten, dass unser Bürgermeister Michael Kölbl mit seinem frontalen Lächeln wenigstens zum Zeitpunkt der Aufnahme nicht im Wahlkampfmodus war.

 

Und drei bemerkenswerte Ausnahmen dieses direkten Kamerablicks finde ich ebenfalls erwähnenswert.Das ist zu allererst Tobias Haller schlafend im Bett, also auf das intimste in sich gekehrt, dann Marlene Hof-Hippke, die ihre ebenso intime Beziehung zur eine Praline mit geschlossenen Augen der Beziehung zum Betrachter ganz entschieden vorzieht und schließlich Toni Meggle, der sich mit umsorgender Geste seinem japanischen Garten zuwendet.

 

Für die große amerikanische Fotografin Diane Arbus ist die Kamera ein Gerät das alles einfängt, das die Modelle zur Preisgabe ihrer Geheimnise verführt, das Erfahrungen erweitert. Menschen zu fotografieren ist nach Arbus Meinung zwangsläufig grausam und gemein und wichtig sei, nicht zimperlich zu sein. Und Susan Sonntag treibt die These weiter, in der sie die Kamera als eine Art Pass interpretiert, der moralische Grenzen und gesellschaftliche Hemmungen aufhebt.„Der springende Punkt beim fotografieren von Menschen ist, dass man sich nicht in ihr Leben einmischt, sondern es nur besichtigt. Der Fotograf ist ein Supertourist – eine übersteigerte Spielart des Anthropologen, der Eingeborene besucht und Nachrichten von ihrem exotischen Treiben und ihrer sonderbaren Aufmachung mit nach Hause bringt.“

 

Tamara Crimmann ist in ihrer ganzen künstlerischen Auffassung aber weit weniger radikal als Diana Arbus es für zwangsläufig hält und vielleicht auch politisch korrekter, als es dem zeitgenössischen Kunstbegriff lieb ist. Nicht zuletzt zeigt sie das auch sehr deutlich, als Teil dieser Ausstellung in Ihrer Fotoreportage über Hans Thurner im Untergeschoss. Denn es scheint, als schütze sie ihre Modelle fast mütterlich und dankbar fürs Posieren. Ihr Blick ist freundlich, versöhnlich und optimistisch. Dieser Blick hilft ihr dabei, dass sich so nicht nur bekannte und unbekannte Seiten öffnen, sondern auch ein wenig die Seelen der Menschen, die sie fotografiert.

 

Als eine beispielhafte Mischung aus beidem erscheint mir denn auch Peter Stengers Doppelporträt. Zum einen konzentriert sich da ein, wie immer gearteter Forschergeist auf sein Nikolauskostüm, als wäre es eine Eingeborenen-Ritus und zum anderen beschenkt Peter Stenger die Fotografin mit dem vertrauensvollsten und offensten Blick, den man sich denken kann und einer offensichtlichen Lust an der Selbstdarstellung, – wie übrigens viele Protagonisten dieser Doppelbilder.

 

Nichtsdestotrotz ist die Fotografie aber auch immer ein „memento- mori“, ein „Bedenke, dass du sterblich bist“ „Fotografieren bedeutet teilnehmen an der Verletzlichkeit und Wandelbarkeit anderer Menschen oder Dinge und an ihrer Vergänglichkeit. Eben dadurch, dass sie diesen einen Moment herausgreifen und erstarren lassen, bezeugen alle Fotografien das unerbittliche Verfließen der Zeit.“

Tamara Crimmann benutzt dieses, uns allen vielleicht weniger bewusste Phänomen und steigert es durch absichtsvoll in schwarz/weiss gehaltene Fotografien in eine Art romantischen Surrealismus. * „Schwarz/weiss – Fotografien verbreiten ganz unausweichlich Nostalgie und eine Melancholie des Vergänglichen, wie Zeugnisse einer vergangenen, einer anderen Welt. Besonders alte Fotografien, als Momentaufnahmen einer versunkenen Zeit und ausgestorbener Bräuche erscheinen uns heute weit surrealer, als jedes Foto das mittels Überlagerung, Unterkopieren, Solarisation und der dergleichen abstrakt und poetisch wirken soll.“

 

Susan Sonntag, die große amerikanische Kunstkritikerin, Essayistin und Lebensgefährtin der berühmten Fotografin Anni Leibowitz differenziert das noch ein wenig aus: „Surrealismus, – so schreibt sie -, liegt bereits in der Natur des fotografischen Unterfangens, in der Erzeugung eines Duplikats der Welt, einer Wirklichkeit 2. Grades, die zwar enger begrenzt, aber dramatischer ist als jene, die wir mit eigenen Augen sehn.“

 

Und so gestaltet die Fotografin Tamara Crimmann in ihrer Ausstellung fast unwillkürlich zwei Betrachtungsebenen, nämlich die, des bekannten Bildes, des beruhigenden und unterhaltsamen Wiedererkennens und als zusätzlichen Erkenntnisgewinn ein kleiner Blick ins Private. Unterstützt wird diese dokumentarische Ebene außerdem durch kleine Legenden neben den Porträts. Die Kunst oder besser die Herausforderung für den Betrachter liegt nun darin – und das speziell, wenn er Wasserburger ist – die 2. Ebene, nämlich die künstlerische oder poetische Seite dieser Doppelporträts nicht aus den Augen zu verlieren. Denn bei allem Spaß, den man dabei haben kann einen guten Bekannten oder Freund wiederzuerkennen, liegt das eigentlich emotionale Ereignis dieser Ausstellung in ihrer formalen Schönheit, dem absichtslosen, poetischen Surrealismus dieser Fotografien und dem Archetypischen, also dem, was uns allen gleich ist, wie das zutiefst menschliche Lächeln in die Kamera, als ein oft rührend-wages Bewusstsein über das eigene Bild.

 

Stefan Scherer | 25.02.2014

 

 

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