Stefan Scherer | Kunst und Texte | Florian Lechner – Ideation | 17.03.2012 – AK68 Galerie im Ganserhaus
Beim Reden-, Artikel- oder sogar Romanschreiben gibt es immer dieses Problem des ersten Satzes, also das weiße Papier, bei Malern ist das die weiße Leinwand, bei Bildhauern der grobe Klotz und ich hab mir jetzt gerade eben mit diesem Trick beholfen das Problem zu lösen, indem ich es beschreibe. Denn am liebsten würde ich anfangen mit: „Was soll ich dazu sagen.“ Aber nicht als Ausdruck meiner Ratlosigkeit im Nichts, sondern meiner Überwältigung in dieser Fülle des Geschehens, diesen dramatischen und beiläufigen Inszenierungen, angefüllten und verbarrikadierten Räumen, zugebauten Durchgängen und den Projektionsflächen und Phantasieräumen dahinter. Und noch suche ich, wo Florian Lechners Kosmos, von dem wir hier umgeben sind wohl anfängt und vor allem aber, wo das alles enden soll.
KonzeptProzess
Als ich während des Aufbaus Florian dazu befragte, erklärte er mir die Prozesshaftigkeit seiner Arbeit und soweit ich verstand, ist ein Ende darin gar nicht vorgesehen, zumindest nicht von ihm aus.Das Ende, wenn überhaupt definiert sich quasi durch das Publikum, d.h. durch die Vernissage und ihre Anwesenheit hier und heute Abend. Er kann ja nun mal nicht weiterbauen, wenn sie alle hier sind. Und nächste Woche hat er vielleicht schon die nächste Baustelle oder er arbeitet an einer alten weiter.
Aber natürlich ist Florian Lechner trotz seiner Jugend und seines frischen Diploms auch ein erfahrener Künstler, der die Vernissagen-Deadline und die Vollendung seiner Installationen routiniert zu synchronisieren weiß…und zwar auf die Minute. Und außerdem haben wir fest verabredet, dass er diese einzigartige, extra für das Ganserhaus gestaltet Installation für die nächsten vier Wochen in Ruhe lässt.
So haben wir jetzt alle die Chance eingehend diese Form der Schaffenspause in dem noch unendlichen Werk des Florian Lechner in den nächsten Wochen begehen zu können und ich möchte sie herzlich dazu einladen das ausführlich zu tun, am besten mehrmals und immer wieder.
Ich persönlich begriff – und das im Wortsinn – Lechners Rauminstallationen erst durch mehrmaliges Durchschreiten. Wenn man sich darauf einlässt und körperlich und geistig durch diese phänomenale Raumkunst klettert, bieten sich einem die unterschiedlichsten Wahrnehmungsvarianten und Assoziationen.
Rundgang
Im Eingangsbereich drängt zunächst mal ein schräger Turm aus Umzugskartons den Besucher in eine Art Slalom zu den übrigen Räumen des Erdgeschosses.
Auch hier finden sich diese raumzerlegenden und verdichtenden Kartonbarrieren, Schräg zwischen Boden und Decke hängen diese Umzugskartonsäulen in einem unentschiedenen Hängen oder Stützen.
Weiter hinten ahnt man noch unseren ehemalige Durchgang zur kleinen Bar im Raum mit der Galerie, der jetzt aber nur noch eine Spekulation ist und das „Dahinter“ eine beabsichtigte riesige Projektionsfläche
Florian Lechner verstopft mit, an die „arte povera“ erinnernden Sperrholzkisten, bemalten Schalungsbrettern und Teppichresten diesen Durchgang und mit einem kleinen Lichteinfall, einer inszenierten Lücke lässt er uns dahinterliegende, unendliche Lagerräume und ahnungsvollen Orte phantasieren.
Im selben Raum auf der Höhe der Bibliothek hängen Florians Knüllobjekte,
die man ihrem Inhalt nach leicht unterschätzen kann.
Es sind nämlich nicht nur in ihrer Beiläufigkeit hinreißend ästhetische Objekte aus weißen Teppichresten, sondern eben ihrem Inhalt nach die ausgeschnittenen Grundrisse aller drei Etagen des Ganserhauses, 1:20, grob gefaltet und zusammengelegt und in ihrer Schönheit der großartige Gleichklang greifbarer Form und abstrakter Idee.
…und wer nicht die ganze Ausstellung kaufen will, hat hier ein wunderbare Gelegenheit diese Objekte wirklich preiswert zu erwerben und wie ich Florians Karriere einschätze, wird er ihnen so günstig nicht wieder begegnen.
Gegenüber diesen Objekten, vor unserer kleinen Bibliothek finden sie Lechners Künstlerbuch “ b-seiten #1 “
Darin werden auf 200 Seiten fotografischer Abbildungen Werk und Schaffensprozess Florian Lechners von 2008 bis in die Gegenwart beschrieben.
Wie eine Metapher für diese Ausstellung und überhaupt Florians ganze Arbeitsweise, besitzt der kleine Band keine Vorder- oder Rückseite, kein Anfang keine Ende, zeigt nur und kommentiert nichts und doch ist ein präzises Dokument seiner Arbeit und ein kleines Kunstwerk dazu.
Im von mir hier empfohlenen Ausstellungsrundgang, – auch weil Florian den eigentlich Rundgang der Galerie zugebaut hat, was unserer Galerie aber überraschend neue Dimensionen gibt – stoßen wir im 1. Stock auf die nächste Kunstbarrikade.
Wieder verdichtet und verkantet Florian den kleinen Raum um gleich den nächsten, also den, in dem ich jetzt hier stehe nur mit einem weißen Teppich, ein paar Podesten und kontrapunktisch mit viel Leere auszustatten und für mich – Florian sei Dank – der letzte Ort im Haus, in dem ich diese Rede halten kann.
Wirklich spektakulär und für mich ein Höhepunkt raumgreifender Installationen sind Florian Lechners raumteilende oder besser raumschneidende Baustahlgitter.
Er spannt sie im hinteren Teil des 1. Stocks quer in die Räume, teilweise mit weißem Teppich überzogen und abstrahiert so die Architektur wie ein Erdbeben – als käme die Decke herunter. Alles Statische wird ambivalent und wage und stürzt sich in unserem Galerieraum endgültig in die Tiefe.
Eine dramatische, dekonstruktivistische Inszenierung, ein emotionalisierender Abgrund, bis in den gefühlten Keller hinab.
Der Dekonstruktivismus ist, ohne zu sehr ins Detaille zu gehen ein Begriff aus der Architektur.
Das in Deutschland wohl bekannteste Beispiel dafür, ist das jüdische Museum in Berlin von Daniel Liebeskind.
In der Begehung dieser, für das Ganserhaus einmaligen Installation stürzen wir aber jetzt noch schnell hinterher in den Keller, – und bitte langsam über die Treppe – und unter Pappkartonsäulen und Spanngurtbefestigungen erreichen wir schließlich Florian Lechners Teppich und Materiallager, ein wogendes Meer aus weißem Stoff, wie ein Ballet aus Weiß- und Grautönen.
Guck-mal-Variante
Ich sprach am Anfang von Wahrnehmungsvarianten. Ich war nämlich immer wieder versucht Florians ganze Installation vor meinem inneren Auge in die vertikale Museumperspektive zu kippen, also von drei D in zwei D zu abstrahieren, sozusagen vom körperhaften ins Flache.
Versuchen sie das mal mit halbgeschlossen Augen, quasi augenzwickend und vor Ihnen erscheinen ganz wunderbare Graphiken, geometrische Abstraktionen, Zeichnungen in Grautönen, mit geraden Linien, Diagonalen, Kurven, Rastern und Schraffuren.
Das für mich wirklich großartige an dieser, das ganze Haus, die komplette Galerie einnehmende und überwuchernden Installation ist eben diese Parallelität der vielen Dimensionen, der körperlichen Wahrnehmung im durchschreiten der Räume, der visuellen mit ihren Linien und Strukturen in Schwarzweiß-Optik, der Erzählung, als Drama des Verlassenen und Übriggebliebenen und nicht zuletzt als philosophische Fragestellung.
Auf Florians Webseite finde ich denn auch ein Art Stichwortsammlung, in der er nicht nur sein bevorzugten Materialien erwähnt, wie Klebeband, Aluminiumsilikon etc., sonder in der er auch Bezug nimmt auf künstlerische Einflüsse oder besser ihn beindruckende Begegnungen u.a. mit den Werken von Günther Ücker, Donald Judd, Carl Andre, Robert Morris und Frank Stella.
Auch Kunstbegriffe wie arte povera oder Minimalismus fand ich als Hinweis um mich Florians künstlerischer Haltung nähern zu können. Wirklich hängen geblieben bin ich an einem Begriff, den ich auch dort fand:
Der performative Widerspruch
Linguistisch ist das Widerspruch von Sprechen und Handeln, wie z. b. „Dies ist kein Satz“ oder wenn ich jetzt zu ihnen sage „Ich spreche jetzt nicht“.
Und als Kreativstrategie kann es das Konzept als Prozess sein, ein Paradoxon an sich, was aber in etwa die Arbeitsweise Florian Lechners beschreibt, sich Ziele zu setzen um prozesshaft von ihnen abgebracht zu werden, Wege zu gehen um den Umweg zu finden, die Überraschung und den Plan fürs nicht Planbare.
Und mit all diesen Widersprüchen, kreativen Missverständnissen und Irrtationen, unendlichen Geschichten und der Lust am Irrtum als Augenschmaus, wünsche ich ihnen nun viel Vergnügen zur dieser Ausstellung und dir Florian herzlichen Dank für deine Wahnsinnsmühe und ganz herzlich auch deinem so hilfreichen Vater Ernst Lechner für diese großartige Ausstellung.
Ganz zum Schluss aber noch ein kleines Bonmot zum „performativen Widerspruch“ aus „Das Leben des Brian“ von Monty Phyton und wie ein Leitfaden für diese Ausstellung:
Brian: Ihr habt das ganz falsch verstanden. Ihr braucht mir nicht zu folgen. Ihr braucht niemandem zu folgen! Ihr müsst selber denken! Ihr seid lauter Individuen.
Die Menge (einstimmig): „Ja, wir sind lauter Individuen!“
Brian: „Ihr seid alle verschieden!“
Die Menge (einstimmig): „Ja, wir sind alle verschieden!“
Worauf aus der Menge eine einzelne Stimme sagt: „Ich nicht!“
Stefan Scherer | 17.03.2012
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