Stefan Scherer | Kunst und Texte | Christine Ott, Christian Hess | 28.04.2012 – AK68 Galerie im Ganserhaus
Bewusst wahrgenommen hab ich Christine Otts Arbeit zum ersten Mal anlässlich einer Gemeinschaftsaustellung mit Manuel Michaelis, Angelika Sieger und mir in der kleinen Studiogalerie von Roma Babuniak in Gmund und es war von Anfang an ihr cooler Minimalismus, der mich faszinierte. Zuerst sah ich nur Zeichnungen, dann aber bei nähere Betrachtung entpuppten sich diese Linien als kleine Papierstreifen… noch cooler dachte ich… sie anonymisiert den Bleistiftstrich. Das sieht aus wie ein System und sie macht sogar Serien daraus und dann, nach und nach entdeckt man die Brüche und Unregelmäßigkeiten in ihnen und der sichere Pfad der Erkenntnis ist auch schon wieder perdu
So ziemlich dasselbe erlebte ich mit den Werken von Christian Hess. Immer wieder sah ich seine Sachen in Rosenheim und Ebersberg und dann saß er sogar mal auf dem roten Sofa, einer Kolumne unserer Lokalzeitung. Und jedes Mal, wenn ich ihm in einer Ausstellung begegnete, fand ich ihn geradezu provozierend unaufdringlich, vor allem seine Graphiken und Zeichnungen … so auf fünf Meter Entfernung. Und ich bin dann doch mal hin und sah diese Kreise und Kringel, – eigentlich Kästchen, wie ich heute weiß – und geriet langsam aber sicher in den Sog seiner gebrochenen Systeme, dessen Wesen es ist:„..systematisch zu sein, weil das System in seiner Systematik systematisch ist“, wie es Christians Philosophenfreund Stefan Lindl in dieser ironischen Analogie beschreibt. Und als wir letztes Jahr im Vorstand dann über der Jahresplanung saßen, flossen die Hess- und Ott-Systeme, wie von selbst zusammen und uns war klar, dass wir sie unbedingt haben wollten und ich freu mich sehr, dass uns das heute Abend in der Anwesenheit von Christine und Christian, sowohl persönlich als auch in dieser Werkschau so augenscheinlich gelungen ist.
Im Eingangsbereich begegnen uns zunächst zwei großformatige Lithographien mit den für Christian Hess so typischen, aneinandergereihten Kästchen, einmal als Quadrat, das andere Mal als großer Kreis und alles so rot wie akribisch. Und hier in unserem Schaufensterraum beginnt Christine Ott mit Ausschnitten aus ihrer Werkreihe „recto verso“, was unter Papier-Profis die Rück- „recto“ oder Vorderseite „verso“ des Papiers bezeichnet. Diese flirrenden Linien liegen, wenn man ein wenig näher hingeht nämlich nicht neben oder übereinander, wie man das von ein zweidimensionalen Zeichnung erwarten darf und es zunächst den Anschein hat, sondern tatsächlich voreinander, dreidimensional in einen Rahmen gespannt, als luftiger Raum zwischen Vorder- und Rückseite eines vermeintlich gestreiften Papiers.
Von diesem Flirren muss man sich erst mal wieder lösen, wenn man sich in unserer kleinen Bibliothek auf Christian Hess Stern- und Herzobjekte einlassen möchte. Herz und Stern bezieht sich jeweils auf das Profil dieser schlangen- und schlauchförmigen – und wenn Christian wollte – unendlich fortsetzbaren Bewegung in Messing oder Beton. Manchmal schließt er sie kurz und es entstehen kleine goldene Messingknubbel, oder konstruktivistische Kugeln. Christian Hess bleibt auch hier seiner Neigung zu Reihungs-Systemen treu, denn genau genommen sind diese Objekte, – wie in seinen Zeichnungen die Kästchen – uferlose Aneinanderreihung dieser Stern – und Herzprofile in einer fast selbstvergessenen, progressiven Ausdehnung.
Im darauffolgenden Raum begegnen wir nun schön kontrapunktisch und wieder in die Fläche gehend Christine Otts Werkreihe „divergent“. Das sind diesmal zwei, drei, vier oder fünf, einmal durch den Bildkasten-Raum geführte Bänder, wunderbar minimalistisch und in ihrer Schlichtheit von außerordentlicher Schönheit. Und an der Stirnseite des Raumes finden sie die turbulenten Variablen dieser geschnittenen und getuschten Papierstreifen, zu dynamischen Kreisen zusammengelegt und in Anlehnung an den Begriff „Kubus“ nennt Christine Ott diese Serie sinnigerweise und sprachschöpfend „Turbus“.
Im nächsten Raum stoßen wir wieder auf ein Christian-Hess-Objekt. Diesmal etwas größer und aus Beton, steinernd-starr und doch mäandernd und wie ein Teil aus der antiken Laokoongruppe und an den Wänden kriechen Christians Kästchen, wie Efeu übers Papier. Wer dann ein bisschen bleibt, bekommt so etwas wie eine Intuition, eine Art Geräusch, wie das alles hier eigentlich tickt. Das macht einen zwar nicht unbedingt klüger aber doch sensibler für das ganze Environment und diese Kunstumgebung aus kryptischen Zeichen und Objekten.
Im darauffolgenden Raum, die Treppe hoch und vorbei an Christians kleiner Zettel-Installation begegnen wir nun erneut Christine Otts dreidimensionalen Flächen und diesmal den Arbeiten aus ihrem Zyklus „vice versa“, was im deutschen, so viel wie „…und umgekehrt bedeutet“- also z.B.: Ist im Süden Sommer, so herrscht auf der Nordhalbkugel Winter, vice versa. Es sind Tuschen auf Papier in tausend Stücke geschnitten und zu Bildern montiert und ich bin Christines Katalog, – den man übrigens bei uns sehr günstig erwerben kann – sehr dankbar für die folgende, kleine und wunderbare Beschreibung:
“ 200 kleine Linien, jede Linie mit 140 schwarzen Rechtecken, ergeben fast 30 – tausend schwarze Kästchen. 30 – tausend schwarze Punkte stürzen sich auf die Retina, aber das Auge verarbeitet den Ansturm mühelos zu einem streng geordneten Bild.Taktangaben mit langen Intervallen, notiert auf schmale Papierstreifen im strengen Rhythmus mit sublimen Unregelmäßigkeiten. Wenn der Blick unscharf das Bild streift ohne einen Punkt zu fixieren, entstehen kleinteilige Muster, die sich im Bildfokus sofort wieder auflösen.
Weiter im Rundgang stößt man/frau auf Christines „espaces“. Der Titel verrät ein bisschen über den Belgisch-frankophilen Ort Ihrer Kindheit. Ein großer schwarz Rand, darauf asymmetrische Vierecke und in der Mitte ein Loch, ein Durchguck und in Christines Katalog steht darüber ganz wunderbar geschrieben: „Ein heiteres Spiel mit Räumen, Perspektive, mit Fläche und Dreidimensionalität. Im Zentrum ein Fensterausschnitt, durch den man auf die Atelierwand blickt. Projektionsfläche für körperlose Schattenbilder der Linienarchitektur.“
Zwischendurch trifft man auf dem Rundgang immer wieder auf Christians Zeichnungen an denen ich nie wirklich vorbei kann. Ich bleib doch jedes Mal stehen und versuche das Rätsel zu lösen. Und so fing ich dabei mal an, selbstvergessen an einer diese Zeichnungen über seine unendliche Geduld zu meditieren. Ich sinnierte über diese Gänge und Kanäle und die fast kontemplative Art, wie sich Christian da vor- und durcharbeitet um am Ende, wie selbstverständlich zu diesen wunderbar leichten und hochästhetischen Ergebnissen zu kommen
In unserem großen Raum und dem kleinen daneben findet man nochmal die meisten, der hier gezeigten Werkreihen versammelt, vor allem Christines vielteilige „Turbus- Serie“ und daneben Christians Kästchen-Zeichnungen.
Ein kleines Highlight gibt’s zum Schluss im Keller. Dort steht seit Samstag letzter Woche ein Handwagen, nämlich Christians Malkarren, das Vehikel eines nomadisierenden Künstlers mit lauter kleinen Vorrichtungen und Halterungen für Tuschgläschen und Pinsel und obendrauf eine plane Fläche zum Zeichnen. Diesen Karren zog er extra für diese Ausstellung annähernd 30 Kilometer von seinem Wohnort am Simssee bis ins Ganserhaus, zu Fuß und in gewissen Abständen jeweils ein Zeichnung anfertigend, gleichsam aus gelaufenen Kästchen,…ein Schritt, ein Kästchen. Die Ergebnisse dieser Aktion sind im Keller rundherum angeheftet und in der Mitte Christians phänomenaler Malkarren. Die Fotos dazu von Martin Weiand, die sie auf unsere Facebookseite finden können, scheinen wie Stills aus einem Heimatfilm und zeigen so sehr anschaulich nicht nur eine künstlerische Haltung, sondern auch die ganze Aktion als Metapher für künstlerische Arbeit, Arbeit an sich und die Liebe zu Systemen.
Während, wie ich am Anfang schrieb, Christine Ott die Linie, den Bleistiftstrich durch den getuschten und montierten Schnipsel entpersönlicht, individualisiert Christian Hess also im Gegenteil seine Kästchen durch diese körperlichen Bemühungen, die er hier zur Ursache seiner Zeichnungen macht.Und als ich mal mit Christine über ihre Neigung zur Linie sprach, erzählte sie mir eine kleine Geschichte:
Immer, wenn Sie mit dem Zug heim fuhr, – sie wuchs, wie schon erwähnt in Belgien auf – betrachtet sie liegend im Zugabteil die vorbeirasenden Stromleitungen und Masten und jeder der schon mal Zug gefahren ist, wird sich daran erinnern können, wie diese Kabel sich im Zugfenster hin- und her bewegen und den Fensterrahmen des Zugabteils in rasender Geschwindigkeit in immer neue Segmente teilt.
Christine betrachtet dieses Kindheitserlebnis als initialen Bestandteil ihrer künstlerischen Erfahrung. Am Ende also und auf welchen Wegen auch immer unsere Künstler Christian Hess und Christine Ott zu ihren Ergebnissen kommen, liegt doch beiden und ihrer Arbeit die tief empfundene Poesie der Dinge zugrunde, hier bei uns zu sehen als wunderbar moderne Umsetzung poetischer Systeme im ästhetischen Raum von minimalistischer Schönheit.
Stefan Scherer | 28.04.2012
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