Stefan Scherer | Kunst und Texte | Müller, Dietl – Aussage gegen Aussage | 16.03.2013 – AK68 Galerie im Ganserhaus
„Aussage gegen Aussage“ darf man ruhig wörtlich nehmen in Stefanie Müllers und Klaus Dietls „all over“ von Bildern, Objekten, Installationen und Environments. Denn es ist ein chaotischer Wust sich wiedersprechender und bildgewaltig ins Wort fallender Statements, ein entgrenztes Sammelsurium, eine Bild- und Objektfetzen-Kollage, ein Rauschen in der Wahrnehmung, das einem die Tränen in die Augen treibt, wenn es nicht gerade das Lachen ist bei Arbeiten wie: Sprechende Kleider, Problemzonen zum Kuscheln oder Kreuzbandriss am Stück, das Hirnband von der Socke aus der Serie der genähten Krankheiten und nicht zu vergessen Stefanies Karriere als Modeschöpferin mit ihrem „do-it-yourself-label“ aus der Nähzelle des „Schwabinger Wg-Zimmers „Hinterland“ mit singender Nähmaschine und der Feinripp-Kollektion: „Pantoffelheldin versus Störenfrieda“.
Die Schau beginnt aber zunächst mit Klaus Dietls großformatiger Kollagemalerei: „Happiness is a warm gun“, die wie eine Metapher für die ganze Ausstellung stehen könnte, ein Nebeneinander und „Drunter und Drüber“ von abstrakter und figürlicher Malerei, Farbfeldern und fragmentarischen Zeichen. Und hier gleich neben mir das Gemeinschaftsobjekt „klein a“, ein mannshoher oder besser frauengroßer Stoffkegel mit aufgenähten Bildern und kleinen Laschen davor zum auf- und zumachen, bzw. zum auf- und abdecken. Ganz „Aussage gegen Aussage“ entstanden diese Bild- und Schrift-Applikationen und das ganze Objekt als ein, sich auf diesem Textilwesen materialisierender Dialog , ein Miteinander und Gegeneinander der Künstler in Bild und Schrift, Wort und Tat und je nachdem verdammt und zugenäht.
Klaus Dietls Bilder rechts und links kommentieren dieses dialogische Objekt u.a. mit zwei kleinen surrealistischen Einzel-Porträts und einer dazwischen gehängten Malkollage, was alles zusammengenommen, samt dieses „Voodoo-Stoff-Etwas“ auch ein wenig die konträren Positionen von Stefani und Klaus dokumentiert. Während Stefani nämlich gern erzählt – erzählte sie mir – setzt Klaus ganz auf die wortlose Wirkkraft des Bildes und wie sie diesen Konflikt bewältigen und sich streiten, sieht man in der ganzen Ausstellung, also Aussage gegen Aussage auf der ganzen Linie.
Dass man in solchen Konfrontationen – und nicht nur der guten Erziehung wegen – möglichst sensibel und ausgeruht vorgehen sollte, wissen die Künstler natürlich selbst am besten. In unserem kleinen Bibliotheksgewölbe hängen deshalb aus ihrer Serie der Kommunikationsverstärker „Ganzgesichtsschlafbrillen“ zur Sensibilisierung der verbleibenden Sinne. Diese Brillen stehen Ihnen für den gesamten Ausstellungsrundgang zur freien Verfügung und wir sind gespannt auf ihre Erfahrungsberichte.
Danach folgt ein weiteres Konfrontationsobjekt. Zwei an den Ärmeln zusammengebundene Kapuzenshirts erzählen von den Erweiterungen und Einschränkungen des Miteinander und dem Widerspruch zwischen der kraftvollen Gemeinsamkeit als starker Arm und dem einsamen Genius des „Aus-dem-Ärmel-Schüttlers“. Klaus Dietl zeigt dann im folgenden, ein wenig laborhaften Raum seine experimentellen wie malerischen Versuchsanordnungen: lauter assoziative Kleinformate, chaotisch gehängt, wie Notizen an einer Pinnwand.
Diese Beiläufigkeit aber hat es in sich. Sie ist subversiv, wie überhaupt diese ganze Veranstaltung und wendet sich ein wenig gegen die Erhabenheit oder das Drama des Tafelbildes, wie man es aus der Museumperspektive kennt. Jedes dieser kleinen, wie ich finde wunderbar gemalten Bilder würde nämlich auch als Einzelwerk den musealen Whitecube fabelhaft überleben.
Nach diesen kleinformatigen und zersetzenden Unabsichtlichkeiten dominiert als nächstes Abenteuer Stefani Müllers genähtes, gelbes Riesenfurunkel die Stimmung. Ein eiteriges textiles Objekt hängt dort sackartig von der Decke, angefüllt mit unsichtbaren Materialien, die kurz davor sind aus dem riesigen Beutel zu tropfen. Der Inhalt, so erzählt mir Stefanie Müller sind vorgefundene Materialien aus dem Fitnessraum des ehemaligen Gefängnisses Neudeck. Neudeck war Zuchthaus, Gestapogefängnis und Jugendaresstanstalt. 2009 verkauft, fanden als Zwischennutzung im ehemaligen Gefängnisgebäude bis Herbst 2012 Kunst- und Kultur-veranstaltungen statt. So kam Stefanie Müller mit dem Gebäude in Kontakt und schleppte einen Sack voller Mythen und entzündlicher Geschichten mit heraus, die jetzt als völlig irrationales Ding, gleichwohl aber ästhetisches Ereignis im Ganserhaus von der Decke hängen.
Wenn sie sich nun über die Treppe in unseren 1. Stock bewegen, droht erst einmal ein seltsames Objekt von oben herunter. Ein irgendwie aufgerissenes buntes Etwas und dann erkennt man doch einen Schlafsack mit absurdem, irgendwie trashigem Innenleben. Das Werk heißt „Paraphrase: geschlachteter Schlafsack“ Natürlich hab ich mich erkundigt und hab folgenden Text von den Künstlern dazu bekommen, den ich ihnen gerne vorlesen möchte, weil er in Sprache und Inhalt ein wenig die andere, sehr ernsthafte Seite dieser trashigen Komödie: „Aussage gegen Aussage“ zeigt:
„Das Bild „Geschlachteter Ochse“ (1655) von Rembrandt gilt als Inkunabel, also soetwas wie der Prototyp des ausgeweideten und geköpften Tiers in der Kunstgeschichte. Das Bild und das Motiv hat viele weitere Künstler dazu angeregt, im Vorwurf des geschlachteten Ochsen, die Möglichkeiten freier Malerei zu entdecken: Lovis Corinths „Geschlachteter Ochse“ (1905), Chaim Soutine´s Serie „Geschlachteter Ochse“ und Francis Bacons „Painting 1946“ beziehen sich auf Rembrandts Bild in seinem kompositorischen Aufbau. Das Bild des aufgehängten, ausgeweideten und geköpften Tieres ist zugleich Bild des Menschen, der die Schlachtung vollzieht, als auch in existenzieller Sicht als Geschlachteter selbst.In unserer Arbeit spielt diese Doppeldeutigkeit eine Rolle, sowie die Möglichkeiten des freien Spiels mit Farbe oder Text. Die Transformation in eine textile Arbeit ist für uns deshalb von so großer Bedeutung, da sich der Bezug zur menschlichen Hülle klar in den Vordergrund drängt. Das Innere des Schlafsacks wurde im Weiteren mit textilen Collagen ausgestaltet: Kleinplastiken, sowie Texte und Bilder aus dem popkulturellen Kontext, transformieren das freie Spiel von Farbe in einen Innenraum von Querverweisen. Im Inneren dieses Körpers befindet sich eine Discokugel, die als „leeres Organ“ diese Bezüge noch einmal spiegelt und so auf den postmodernen Schauplatz des Zitierens und Sampelns selbst verweist.“
Dieser Text war für mich auch deswegen so interessant, weil er u. a. zeigt, dass das Humoreske dieser Ausstellung keinesfalls als Selbstzweck gesehen werden kann, weder formal noch inhaltlich, sondern vielmehr als eine künstlerische Strategie, die mit sinnfälligem Humor zu verführen versucht, um uns dann mit eher mühsamen und unbequemen Themen abrupt auszubremsen.
Auf diesem Stockwerk summt aber schon im Hintergrund ein Staubsauger kryptische Botschaften in den Äther, …in einer absurd bürgerlichen Umgebung aus lauter erdachten Fetischen der Vergangenheit eines elterlichen Wohnzimmers. So akustisch wie der „Praktikant, – das ist der Titel des Staubsaugers – reagieren auch die im nächsten Raum liegenden, bemalten Textilobjekte: „Kissen mit Porträts und applizierten Nippeln oder Brustwarzen darauf“. Wenn man draufdrückt geht ein Gespräch los oder ein gesprochener Text. Umso mehr Nippel man drückt, umso chaotischer wird das Durcheinander von Wortfetzen. Die Installation heißt sinnigerweise „Camera silens“ und ist eigentlich die Bezeichnung für einen völlig schallisolierten Raum. Wer aber Lust hat kann hier eine wunderbare Sprachverwirrung produzieren, wie überhaupt viele Installationen dieser Ausstellung einen interaktiven Charakter haben und zum Mitmachen auffordern sollen. Die Künstler haben mich sehr gebeten, das ganz deutlich zu machen.
Auch unsere kleine Garderobe widerstand nicht Klaus und Stefanies Ideenflut und ist als Installation jetzt „Märchenstunde“ betitelt und wo normalerweise ihre Mäntel und Jacken hängen, gibt’s jetzt Telefone mit sich überlagernden Märchentextkollagen und umso näher man an die Apparate geht, umso deutlicher kann man die einzelnen Geschichten heraushören.
Der darauffolgende Durchgangsraum ist ebenfalls umfunktioniert und heißt jetzt „Atempause“ was auch hier ganz wörtlich zu verstehen ist. Die Installation stellt ein paar Sitzgelegenheiten mit darüber hängenden Inhalationsmasken zur Verfügung, ähnlich wie im Flugzeug und ist eine wirklich kongeniale Zäsur in der ganzen Ausstellung-Dramaturgie. Und ich kann nur raten, nutzen Sie die Atempause. Sie werden die Luft noch brauchen. Auch ich konnte in diesem Text mal verschnaufen, weil ich für die nächste Arbeit einen kleinen erläuternden Text von den Künstlern bekommen habe, den ich hier gern zitiere.
Die Installation heißt „Avatar Robota“ und füllt den ganzen folgenden Raum aus. Stefanie Müller und Klaus Dietl erklären folgendes dazu: „In unserer Arbeit greifen wir die absolut klaren Elemente der Bildsprache synthetischer Online-Welten auf (Avatare, Copy & Paste Elemente aus Film- und Fernsehen, wie man sie auf YouTube findet, etc.): Eine Symbolik, die von jedermann verstanden wird, und die einen überfällt, wohin man auch klickt. Durch Zerschneiden dieser audiovisuellen Informationen in Assoziationseinheiten erhält man Elemente, die dann neu – surreal, persiflierend, absurd – zusammengesetzt werden, um ein Loch in unseren Schleier zu reißen und unsere Kontrollabsichten zu vereiteln.“
Soweit ich es also verstanden habe, schafft in dieser Installation die Übersetzung virtueller Welten in unsere materielle Realität so etwas wie ein absurdes, surreales Zwischenreich, ein „lost in translation“ mit ganz neuen Informationen und wunderbar ästhetischen Desorientierungen.
Und jetzt geht’s ab zur Schmerzpolizei. Der kleine Raum oder unser Nebenzimmer ist jetzt ein Environment oder die Dienststelle für den wunden Punkt, ein Fahndungsbüro für die Stelle, wo es wehtut, möbliert mit absurd- und quasikriminalistischen Apparaturen. Die Künstler selbst interpretieren diese groteske Anordnung als die Untersuchung des Leidens, der treibenden Kraft unseres Handelns und wie Stephanie noch erwähnte auch als Fortsetzung ihrer genähten Krankheiten.
Die letzte Station in dieser Kunstkatharsis ist der Gewölbekeller. Vorbei an im Treppenhauskabuff wüst herunterhängenden Stoffeingeweiden sieht man unten angekommen die sogenannte rosa Fummelgarderobe. Fummelgarderobe deswegen, weil es eine Art Rondell ist und eine Umkleidekabine deren Vorhang aus rosa Handschuhen und Strümpfen besteht. Auf dem Boden verteilt stehen Rümpfe mit aufmalten Organen, alles in leuchtenden Rots und Gelbs, wie das Ersatzteillager eines freundlich-optimistischen Serientäters. Daneben läuft ein kleines Video, das die ganze Situation zu erklären versucht aber natürlich nach der gewohnten, verwirrenden und vor allem humoresken Methode der beiden Künstler.
Humor und Kunst haben viel gemeinsam, beide fungieren als Brücke zu einer irrationalen Welt, die von Intuition und Instinkt bestimmt wird. Sie teilen auch dieselben sozialen Räume, in denen Normen, Moral und Tabus miteinander konfrontiert werden. Ironie und Humor erfrischen die Psyche und beleben und erneuern den Geist, der uns Fehlschläge und Existenzängste besser bewältigen lässt.
Und weil der Bedarf danach schier unendlich scheint, darf ich sie einladen jetzt gleich im Anschluss Stephanie Müller und Claudia Theis ins obere Stockwerk zu folgen und nach einem kleinen Konzert der Künstlerinnen zur Performance „Threat Therapie“. „Threat Therapie“ befragt das Publikum nach Mängeln im Allgemeinen und Überhaupt und Stefanie Müller und Klaus Dietl produzieren je nach Bedarf und direkt vor Ort die passenden Kunst- und Heilmittel, wie z. b. „Jammerlappen zum Mitnehmen“ oder „Liebeskummer to go“.
Stefan Scherer | 16.03.2013
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