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Vera Moritz, Jonas Münch, Lea Grebe, Dominic Hausmann | Kunststress

Stefan Scherer | Kunst und Texte | Münch, Moritz, Hausmann, Grebe – Kunststress | Offspace München Tegernseer Landstrasse 174 | 25.02.2011

 

Das einzige, was wir im Moment definitiv wissen ist, dass wir es heute Abend mit „jungen Künstlern“ oder besser mit „junger Kunst“ zu tun haben. Zu diesem Begriff las ich neulich: „Junge Kunst“ macht sich gut. Pur und unbelastet klingt der Wortlaut, ganz den Anschein erweckend von jeglichen kunstgeschichtlichen Altlasten, Skandalen, Moden und Stilen unberührt zu sein. In Fachkreisen wird der jungen Kunst höchste Brisanz und innovatives Potential eingeräumt. Gleichzeitig aber finden wir z. B. im Künstlerrating des Wirtschaftsblattes „Bilanz“, dass von den Top-100 zeitgenössischen Künstlern der Welt 79 über 40 Jahre alt sind. Um diesem Faktum entgegenzuwirken erschaffen sich junge Künstler vor allem in den Großstädten wie Hamburg und Berlin immer mehr und losgelöst von Kunsthallen und Galerien eigene, kleine Offspaces und Kunsträume mit Witz und Innovation und ich freu mich sehr heute Abend in so etwas Ähnlichem gelandet zu sein und auch, weil ich glaube, dass München da einen gewissen subkulturellen Nachholbedarf hat. Dass dieser Bedarf allerdings, so wie hier und heute Abend vor allem aus Wasserburg und Umgebung bedient wird, finde ich 1. typisch, weil ich Wasserburg kenne und liebe und 2. – aus meiner lokalpatriotischen Sicht – für Münchens Szene hilfreich und notwendig.

 

Also „Kunststress“ für München und ich möchte mit Vera Moritz beginnen, weil ich sie von allen, hier ausstellenden Künstler und Künstlerinnen am längsten kenne – auch als Kunststressfaktor. Ich hatte nämlich damals das Vergnügen Vera bis zu ihrem Abitur 2006 durch ihren Kunstleistungskurs begleiten zu dürfen. Sie malte aber bereits seit 2003 in meinem Atelier und ihr Wunsch einen künstlerischen Beruf zu wählen wurde in diesen Jahren immer deutlicher. Seit 2007 studiert sie nun an der LMU München Kunstpädagogik. Sie hat sich damals stark – auch sehr viel über die Zeichnung und Photographie – mit Kindheit und Weiblichkeit auseinandergesetzt und ich glaube so etwas wie „Frauenkunst“ gemacht.

 

Der Begriff „Frauenkunst“ hat aber immer noch einen schrägen Touch, trotz all ihrer großartigen Protagonistinnen wie Cindy Sherman und Rosemarie Trockel bis hin zu Rebecca Horn, Jenny Holzer oder Marina Abramovic und ich meine hier die positivste aller Deutungen für diesen Begriff, schlicht die Beschäftigung mit spezifisch weiblichen Lebenswelten.

 

Vera Moritz Malerei aber hat sich stetig weiterentwickelt und ihr Stil zeichnet sich mittlerweile aus durch einen wunderbar leichten und transparenten, fast aquarelligen Farbauftrag in einer lockeren, figürlichen Malerei. In ihrer hier zu sehenden, großformatigen Arbeit: “Tom, where have you been on christmas day“, das Porträt eines virilen, archetypischen und geheimnisvollen Anonymus ist das sehr augenscheinlich wahrzunehmen und als ich neulich eine besonders schöne Ausstellung mit Porträts der berühmten, südafrikanischen Malerin Marlene Dumas im Haus der Kunst besuchte, fühlte ich mich inhaltlich und formal sehr an Veras Malerei erinnert. Einen Einblick in ihren ganz persönlichen und wie ich eben finde sehr weiblichen Assoziations- und Inspirationskosmos erlaubt uns Vera noch in ihrem kleinen, feinen Video. Es ist eine Reise durch ihre Bilderwelt. „Dreamworks“ taucht als Titel auf und eine Bilderfolge verschiedener Szenen und Frauenporträts erscheint, wie ein Pool ihrer Bildideen als Traumsequenzen, begleitet vom kinderliedhaften, klirrenden Sound eines afrikanischen Handklaviers. Als ich diese Rede vorbereitet war aber noch nicht klar, ob sie die kleine Box zum Reinsetzen und Anschauen des Videos auch rechtzeitig hinbekommt.

 

Und nun zu Lea Grebe. Sie studiert ebenfalls an der LMU Kunstpädagogik und malt ihr Sujet sozusagen runter bis auf die Knochen. Ihre Arbeiten zeigen kleine, akribisch gemalte Vogelskelette und Knochenstrukturen. Auf meine Anfrage mailte sie mir folgendes dazu: „Ich beschäftige mich seit 2008 in meinen Bildern fast ausschließlich mit dem Skelett der Taube, sowie Knochenstrukturen von Schädeln. Dabei geht es mir um die Faszination, die ein solches Skelett ausstrahlt. Bei der Fokussierung auf einzelne Knochen eröffnet sich dem Betrachter eine Vielzahl an feinsten Strukturen, die vollkommen abstrakt aufgefasst werden können. Ebenso spielen die Empfindungen Ekel, Abscheu, Angst und Phobie eine zentrale Rolle. Betrachter, die meine Bilder das erste Mal sehen, fühlen sich diesen Gefühlen oft ausgesetzt. Die neueren Arbeiten haben diese Hürde jedoch überschritten und widmen sich dem Skelett auf einer rein ästhetischen Ebene. Die Taube durchläuft in den Bildern Stadien der Abstraktion, verändert sich, wird brutaler, empfindsamer, massive, zerbrechlicher. Teilweise verschwindet sie bis zur Unkenntlichkeit in der Bildkomposition. Dann tritt sie wieder klar und deutlich im Mittelpunkt hervor. Die Taube wird mehr und mehr zu einer Ikone, die für viele Bedeutungen, Assoziationen stehen kann und schon lange einen mit Bedeutung aufgeladen Platz in der Kunst inne hat. In meinen neusten Werken ist das Thema der Angst erneut aufgegriffen. Diese wird nun aber vom Menschen selbst repräsentiert. Gezeigt werden Angstsituationen, denen sich Menschen gemeinsam oder alleine ausgesetzt fühlen. Die Taube erscheint in diesen Werken nur noch in Form von alpartigen Schatten und Andeutungen.“

 

Mein persönlicher Zugang zu diesen feinen und filigranen Vogelskeletten, mal abgesehen von einer formalen oder abstrakten Betrachtung, sind meine frühen Kindheitserinnerungen, wie ich z.B. auf dem Schulweg oder beim Spielen immer mal wieder diese zarten abgestürzten und skelettierten Küken fand, so jung und so tot und viel zu zart für beides.

 

Quasi kontrapunktisch dazu und wesentlich handfester aber deswegen nicht weniger sensibel geht`s bei Dominik Hausmann zu, Jahrgang 84 und gelernter Holzbildhauer. Meine erste Begegnung mit Dominik Hausmann, das heißt mit einem seiner Werke hatte ich in einem Treppenhaus in der Wasserburger Altstadt. Eine ca. 1,50 hohe Holzskulptur, ein fetter, nackter Mann, mit einer ganz wunderbar durchgehend strukturierten Oberfläche, geknüpfelt oder geschnitzt – mir fehlt da der Fachbegriff – jedenfalls hatte dieses herrenlose, nackte Ding so eine Präsenz, dass ich es unbedingt habe wollte. Und heute steht es bei mir im Atelier als Leihgabe von Dominik Hausmann und ich bin sehr froh darüber. In dieser Ausstellung zeigt Dominik außer seinen Selbstporträts in Tüten und dem merkwürdigen Nähbildern sein Objekt „golden brown“, eigentlich ein Musiktitel. Er dient aber hier eher dem Spurenverwischen, wie Dominik mir erzählte, fast wie bei Joseph Beuys, der es liebte seinen Objekten verwirrende und abstruse Titel zu geben um jeder Vereinnahmung durch Interpreten oder etablierte Kunstbetrachter zu entgehen. Ein seltsames Vierkantholz auf eine kleine Platte geleimt. Wie ein Minimarterpfahl mit einem darauf gemalten, fratzenhaften Gesicht und davor ein schwenkbarer Arm mit einer Hand, die einen schwarzen, kleinen Kopf hält, welcher sich je nachdem hin- und herbewegen lässt. Man könnte meinen, ein kleiner Watschenapparat. Aber das Objekt heißt „golden brown“, verweigert naheliegende Deutungen und ist deshalb so wunderbar absurd und von einem eigenartigen, valetinesken Humor ganz so wie seine Biographie, die er mir auf mein Bitte hin mailte und die ich so bezeichnend für ihn und seine künstlerische Haltung, seinen Witz und seinen Sinn für die Realgroteske finde – allein schon in der Sprache -, dass ich sie hier gerne vorlesen möchte:

 

 

„Meine Biographie beginnt, wie bei allen mit einer Geburt und zwar am 05.03.1984. Dann hab ich unerhebliche Zeit auf der Waldorfschule in Prien am Chiemsee verbracht und diese ohne Abschluss und viel Wut verlassen. Darauf folgen zwei Jahre mit Arbeit und Erfüllung der Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr an der Berufsschule in Wasserburg am Inn. Diese wird mit Nichtbestehen eines Berufsgrundschuljahres im Schreinerhandwerk verlassen, woraufhin es mich 2002 im Herbst nach Berchtesgaden verschlägt, wo ich in drei Jahren die erste und einzige erfolgreiche Ausbildung meines bisherigen Lebens absolviere, „Holzbildhauer“ Danach folgen zwei, von langen Nächten und kleinen bis keinen Jobs geprägte Jahre. Diese münden mit der Fertigstellung einer Bewerbungsmappe und der Aufnahme an der „Akademie Gut Rosenberg“ in Aachen am Niederrhein. Dort erhalte ich trotz Nichterfüllung der Studienziele und Abbrechen nach dem 2. Jahr aufgrund persönlicher Missverhältnisse, wichtige künstlerische Anregungen und Denkweisen, welche in meinen Arbeiten unorthodox aber zwischen den Klebstellen, Nähten und Verschraubungen sicher auftauchen. Die Zeit bis heute verbrachte ich mit Arbeit im Kirchenmalerhandwerk und mit Gelegenheitsjobs, die mir genügend Zeit ließen mich künstlerisch weiter in meine gewünschte Richtung zu bewegen.“

 

Während also Dominik Hausmann schon biographisch, wie sie gerade gehört haben um die Ecke geprägt scheint und vor allem seine Arbeiten mit ihrer Neigung zum wunderbar Absurden, Geheimnisvollen und Verrätseltem, dem man nur schwer einen Sinn oder eine bestimmte Bedeutung verleihen möchte, macht Jonas Münch genau das Gegenteil. Jonas Münch, Jahrgang 89` ist in Gars am Inn aufgewachsen und studiert seit 2010 an der LMU München Kunstgeschichte und demnächst auch Theaterwissenschaften. Letztes Jahr hatte ich als Kurator mit ihm eine große Ausstellung im Ganserhaus, der Galerie des Wasserburger Kunstvereins AK68, und sie war gemessen an den Besucherzahlen die erfolgreichste des Jahres 2010.

 

Aber zurück zu Münchs Position, hier in diesem „Kunststress“. Er geht frontal auf die Begriffe zu, kollidiert quasi mit Ihnen, nimmt sie beim Wort, verweigert ihnen jede Erfahrung oder gewohnheitsmäßige Bedeutung und schafft mit dieser Haltung und diesem Blick irritierende Objekte, die ihres ursprünglichen Sinns und Kontexts beraubt sind. Das klingt aber komplizierter als es eigentlich ist. Ein Beispiel für diese, einigermaßen autistisch anmutende Arbeitsweise ist das Objekt „Öl auf Leinwand“. Natürlich assoziieren wir alle etwas anderes mit dem Titel als diese Installation und ich als Maler schon dreimal und das Objekt kommt so simpel daher, dass es schon kalauert. Gleichzeitig aber ist es ein heilsamer Bruch mit unseren Sehgewohnheiten, Erfahrungen und Deutungstraditionen oder hier vielleicht sogar etwas wie: „Die Kunst der ästhetisierten Wahrnehmungsstörung“.

 

Eine andere Form der Umdeutung und artifizieller Nützlichkeitsverschandelung von Haushaltsgeräten – Jonas Münch hat eine Neigung zu Haushaltsgeräten, wie auch an seinen anderen Objekten zu sehen – zeigt er mit seinem Wäscheständer und zwar gleich in zwei Richtungen. Er bewaffnet den an sich harmlosen, friedlichen Wäscheständer mit einem gemeinen, fiesen Stacheldraht und plötzlich ist das Ding eine Waffe oder ein Folterinstrument.
So dramatisiert er „Das Profane“, nämlich den Wäscheständer und profanisiert gleichzeitig „Das Drama“ mithin den Stacheldraht. Ein geniales Objekt. Und die Strategie der Irritation, verfolgt er auch in seinem kleinen Video „Bügeleisen schmilzt Eisfläche“ einfach durch Kontextverschiebung und Ver- und Entfremdung der vermeintlich natürlichen Umgebung der Dinge. Am Ende aber sind Jonas Münchs Objekte allesamt wunderbare Metaphern für unsere Lebenswirklichkeiten.

 

Gerne würde ich noch einen Vortrag halten, weshalb sie unbedingt „Junge Kunst“ kaufen sollten und müssten und warum gerade heute Abend und hier und jetzt und am besten sofort. Ich kürze es aber gerne auf einen Satz:
Es gibt an sich keine glücklichere Investition, als die in ein Kunstwerk, keine humanere und gewinnbringendere und besonders heute Abend keine günstigere Gelegenheit, in dieser Ausstellung mit diesen Künstlern, die Ihnen so jung und so billig nie wieder begegnen werden.

 

Stefan Scherer | 25.02.2011

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