Stefan Scherer | Kunst und Texte | Johannes Gramm – J’ai débuté | Galerie im Ganserhaus | 22.01.2011
In den Vorgesprächen zu dieser Ausstellung und auch um Johannes Gramm ein bisschen besser kennen zu lernen, seine künstlerische Haltung eben und ein bisschen, wie er so tickt begannen wir erst mal mit dem Titel seiner Schau. “J’ai débuté ma carrier dans un hold-up audacieux. Ich begann meine Karriere mit einem gewagten Banküberfall” ist aus einem Chanson von BERNARD LAVILLIERS mit dem Titel „Die Abenteuer einer Banknote“ erklärte mir Johannes Gramm und weiter: „Den Grund für gerade diese Zeilen verrate ich nicht, aber ein spektakuläres Beginnen finde ich immer gut.“ n diesem Sinne hab ich versucht seine Arbeiten hier im Ganserhaus zu präsentieren.
Gleich zu Beginn also Gramms Selbstportraits mit Busen aus seiner Serie: „Betteri – stärker, schöner, jünger“, die sich oben im ersten Stock fortsetzt. In einem Katalogtext dazu spricht Christiane Kuhlmann von fotographischen Selbstportraits als Ort der Inszenierung, bei denen das Verwandeln vor der Kamera zu einem Suchen und einer Art Neudefinition der eigenen Person wird. In der Geschichte der Fotographie sind es in der ersten Hälfte des 20ten Jahrhunderts die Bauhauskünstlerin Gertrude Arndt und die französische Schauspielerin, Fotografin und Schriftstellerin Claude Cahun die das fotographische Porträt als wandelbares Selbstbild ins Zentrum ihrer Arbeit stellten. Die wohl berühmteste, zeitgenössische Künstlerin in dieser, vor allem von Frauen geprägten Tradition ist aber wohl Cindy Sherman mit ihren monströsen Verkleidungen, Schminkspielen und schaurigen Selbst-Inszenierungen, die über ihre Arbeit und sich selbst sagt: „…schon als Kind wollt ich hässlich aussehen.“
Ein Beispiel dafür sehen sie hier rechts neben mir: “ Mann zum Mitreisen gesucht“ heißt diese Inszenierungs- und Umdeutungslaune an der eigenen Person oder am eigenen Bild mit fettigen Haaren und fiesen Schuppen. Bei Gramm aber bleiben trotz seiner Spielfreude Gesicht und Ausdruck im Mittelpunkt des Geschehens, nie wirkt er verkleidet, eher nackt – die Accessoires bleiben Hilfsmittel. Er ist auf der Suche nach dem Wesen, dem Kern einer Figur und verweist dabei gleichzeitig auf den Schein gezeigter Bilder.
Gleich darauf folgen, – diesmal die Haare im Turban – die Kaperfahrer Hein und Jan, die entgegen dem Titel mehr von Sindbad haben als von Störtebecker. Titel sind in Gramms Werk immanent wichtig. Er erklärte mir dazu: „Fast alle Bilder, die ich hier ausstellen möchte sind aus dem Zusammenhang von Titel und Bild entstanden. Die Bilder (auch meine Zeichnungen übrigens) betrachte ich eher als Remix unterschiedlichster Daten, die zum Ende zusammen montiert mit Schere und Kleber oder Computerprogrammen als Print da stehen. Oft sehen sie aus wie Fotos, sind es aber nicht, auch die Landschaften übrigens nicht. Ich war mal auf einem Remixfestival für Musiker aus diesem Grunde eingeladen. Ich sammle digitale Sampler. Gefundene und gemachte Fotos, gescannte Zeichnungen, generierte Bilder etc. – wie bei Musiksamplern von Geigen, Geräuschen, anderen Liedern oder Synthesizerklängen – sind am Ende eins mit dem Titel. Ich sammle und mache also ständig Bilder und Titel. Ich habe eine große Titelsammlung zu denen es noch keine Bilder gibt und umgekehrt. In dem Moment in dem sich beides trifft, werde ich aktiv und es entsteht eine neue Arbeit.“
Manchmal provoziert er auch diese Treffen, wie in „Thelema“, dem fünfteiligen Zyklus von Frauenporträts im ersten Stock. Johannes Gramm beschrieb mir seine Herangehensweise wie folgt:
„Die starken Frauen stehen vor einer Wand (wie immer bei mir ist die Wand gemalt oder gezeichnet und nicht real im Shooting) mit einem Zitat von Alister Crowley, das übersetzt in etwa meint: „Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz. Liebe ist das Gesetz. Liebe unter Willen. Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern“. Der Satz wurde jeweils per Hand von den Frauen geschrieben, …z.B. bin ich mit der Bildidee solch schmuckloser Frauen und dem Zitat (der Titel Thelema verweist darauf: Thelema – freier Wille) monatelang herumgelaufen und habe dann, nach und nach die Frauen gefunden und überredet. Zeit ist bei den Bilderremixen ein entscheidender Faktor: für die Serie „Betteri“ habe ich mehr als 1 1/2 Jahre gebraucht. Einzelne Bilder bestehen aus mehr als 50 Einzelsamplern.”
Die Serie Betteri, schöner, jünger, stärker: Ich erwähnte ja schon „Schöner“ am Anfang des Rundgangs, das setzt sich oben fort mit „Stärker“, – brutalen, lädierten, gepiercten und tätowierten Kerlen und „Jünger“, – Buben mit fragenden, unbedarften Gesichtszügen und Frisuren. Und schließlich ihnen gegenüber die zwölfteilige „Zwillings-Serie“ mit dem Titel:„Wenn ich mal alt bin, möchte ich nicht so gern allein sein“ und jeweils für die Männer- und die Frauenpaare untertitelt mit: „Gretel und Hänsel“ und „Julia und Romeo“. Die 12 fotographischen Doppelporträts, zeigen immer ein und dieselbe Person mit kleinen Variationen und unterschiedlichen Ausdrucksmomenten.
Mir erscheinen diese montierten Doppelporträts, als führte Gramm Innen- und Außensicht zusammen oder das, was wir sind und unsere Vorstellung davon, – Schein und Sein – und zugleich als Analogie dessen, was Fotografie vermag, die Fragwürdigkeit nämlich ihres Anspruchs auf Authentizität.
Kaum erkennbar aber dennoch Sampler sind die auch seine Landschaften. Die Katze im Bild „Ich trinke dasselbe wie meine Blumen“ ist aber diesmal kein Fake, erzählte mir Gramm. Sie war schon da und er hätte es nicht besser machen können.
Abschließend möchte ich gern noch etwas aus dem Mailverkehr zwischen Johannes Gramm und mir zitieren, das, wie ich finde den ganzen Gramm, seinen mitreißenden Humor und strenge Ernsthaftigkeit sehr deutlich macht. Er schreibt: „Als Bildner ist man in der Lage etwas sichtbar zu machen, es zu zeigen. Also ist für mich der einzige Grund ein Bild zu machen (trotz Titel und der Freude an verzwickten Geschichten) der Wunsch und die Neugierde wissen zu wollen, wie etwas aussieht: ich mit Brüsten und als ramponierter Held, als Pirat, vom Affen gebissen oder anderen Figuren, die ihrem Wunsch nach Freiheit oder Mut Ausdruck geben usw. das Ganze zeige ich dann anderen Leuten in Ausstellungen und Veranstaltungen und die machen dann damit was sie wollen.
Stefan Scherer | 22.01.2011
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