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Wasserburg leuchtet – Lichtkunst im Ganserhaus

Stefan Scherer | Kunst und Texte | Wasserburg leuchtet – Lichtkunst im Ganserhaus, kuratiert | Galerie im Ganserhaus | 16.09.2016
Wie so oft, wenn ich Einführungsreden schreibe, steh ich erstmal vor dem Nichts und alles ist dunkel und dann hangele ich mich von Wort zu Wort, also wie jetzt vom Dunklen ins Helle  oder in die rhetorische Erleuchtung und schleich mich bis an´s erlösende Stichwort, diesmal: “Wasserburg leuchtet“ oder „Lichtkunst im Ganserhaus“.

 

„Lichtkunst im Ganserhaus“ das bedeutet der Versuch eine Ausstellung mit Lichtraumzeichnungen, Lichtskulpturen, Neonröhrenkunst, Leuchtobjekten und Fotografien zu konzipieren, die nicht nur als ästhetische Ergänzung zum unserem Stadtfest „Wasserburg leuchtet“ gesehen werden kann, sondern auch als Angebot künstlerischer Neubewertung der Farb- und Klangwelten, die als Lichteffekt- und Lasershows weltweit inszeniert werden. Und wenn ich als Provinzliebhaber und Tellerrandverehrer an „weltweit“ denke, bietet sich mir das Fête des Lumières im französischen Lyon, das Amsterdam Light Festival, das Berliner Festival of Lights, das VIVID in Sydney, das gänzliche unelektronische Loy Krathong Festival in Thailand oder die riesige Light- und Kunstshow über der Marina Bay in Singapor. Und aus einer extraterrestrischen Perspektive böte sich uns sogar ein anhaltendes Festival planetarischer Erleuchtung aus einem, die ganze Welt überziehenden Teppich unendlicher Lichtpunkte, wie eine sich epidemisch ausbreitende Weltentzündung, so als würden Milliarden Geistesblitze die Milchstrasse provozieren.

 

Eine Nummer kleiner, dafür erhellend geistreich stellen uns heute Abend in dieser Ausstellung 8 Künstler die Ergebnisse ihrer Überlegungen, Intuitionen und Geistesblitze zum Thema Licht zur Verfügung. Das beginnt mit einer Serie von Fotografien der Künstlerin und Grafikdesignerin Adelheid Schmidinger von denen ich hier umgeben bin. Mich sprachen dabei besonders die beiden Fotografien „Tanz“ und „Körper und Geist“ an und wie sie miteinander korrespondieren. Das linke, also „Körper und Geist“, malerisch weich in seiner Transparenz und graphisch fest in der Schwarzweiß-Anmutung und daneben der „Tanz“, das Bild einer Tanzgruppe aber mit den gleichen Gestaltungsmitteln dargestellt. Ich finde die Kombination deswegen so interessant, weil sich die Fotografien ästhetisch, wie in ihrer Erzählung gegenseitig zu abstrahieren scheinen; Körper die sich im Licht entmaterialisieren, sich quasi in Rauch auflösen und daneben der sich materialisierende Atem im vergehenden Körper einer transparenten Wolke. Eine schöne Metapher für Schein und Sein

 

Als nächstes im Rundgang folgt die komplexe und raumgreifende Licht und Sound-Installation „Ganserhaus leuchtet“ von Fritz Armbruster. Was sich da in den kleinen flurartigen Raum drängt ist nicht nur ein wuchtiges Multimedia-Aggregat, sondern das zu einem Licht und Soundmöbel mutierte Zusammenspiel verschiedener Künstler und Kunstgattungen. Auf einem Monitor an der Frontseite der Installation lässt sich Peter Ludwigs Film „ Heaven“ abspielen; ein Film über den Himmel aus der Perspektive durchfahrener Alleen und mittelalterlicher Straßenschluchten der Stadt Wasserburg. Durch betätigen verschiedener Knöpfe und Schalter kann der Benutzer dieses Kunstaggregats Szenen wiederholen oder aufteilen. Darüber hinaus kann man Titel und Impressum abrufen und Einblicke in weitere Arbeiten des federführenden Künstlers Fritz Armbrusters anklicken. Hinter dem Videoblock der Installation sind weitere kleine Fenster horizontal eingelassen aus denen die Malerei-Zyklen: „Griechischen Impressionen“ und „Anatolische Kreise“ des polyglotten Fritz Armbruster herausleuchten. Ganz am Ende gibt es eine kleine Sitzgelegenheit und einen Kopfhörer aus dem Musiken von Sara Kober zu hören sind. Dieses erstaunliche Ding, Kunstmöbel, Multimedia-Installation, Ausstellungsobjekt ist ganz eindeutig der satten Erfahrung des Museumsmanns und Ausstellungsbauers Fritz Armbruster geschuldet, aber auch der Freude des Künstlers Fritz Armbruster an künstlerischer Kooperation und den sich daraus ergebenen kreativen Synergien

 

Nebenan versuche ich mich in Neonröhrenkunst, – das Wort setzte ich aber mal in Anführungsstriche. Bei meinen Lichtobjekten ging es mir mehr um den skulpturalen Charakter dieser Arbeiten, also etwas, das von innen nach außen strahlt und nicht etwa wie bei dem Lichtkunst-Urgestein Dan Flavin, dem es vor allem um die Lichtatmosphäre des Raumes geht. So darf man beispielsweise das Objekt oder Materialbild „Jupps Heilungsdings“ als kritisch-humoreske Bemerkung zu den bis heute virulenten Heilserwartungen an Kunst und Künstler, wie sie besonders Ende der 70 Jahre, beispielsweise im schamanistischen Auftreten Josef Beuys zu beobachten war.

 

Die Arbeit „Tabledance“ in der Mitte des Raumes hat eigentlich zwei Ursprünge. Zum einen ist die Edelstahlkonstruktion tatsächlich das Fragment eines Tabledance-Tisches, den ein allseits bekannter Wasserburger Wirt in seinem Keller installieren ließ. Irgendwie setzte sich die Idee in Wasserburg und das Tischchen landete bei mir im Atelier. Zum anderen ist das Objekt eine Hommage an die amerikanische Tänzerin Loïe Fuller und ihren Auftritt in den Pariser Folies Bergère 1892. Eingehüllt in einen überdimensionierten, weißen Umhang zeigte sie sich dem Publikum vom scharfen Strahl einer im Bühnenboden eingelassen Lichtbogenlampe beschienen, als lebendige Lichtskulpture mit einem Tanz, der die industrielle Revolution als ästhetisches Ereignis zu feiern schien. „Je sculpte de la lumière.“„Ich forme Licht.“ überschrieb die Tänzerin programmatisch ihr Schaffen und unterstrich damit die Forderung nach einer abstrakten Kunst, die weniger als unmittelbarer Ausdruck gesellschaftlicher Realität entsteht, sondern vielmehr als Behauptung einer ästhetischen Gegenwelt.“ Und nichts ist mir lieber als diese ästhetische Gegenwelt und kaum etwas lehne ich mehr ab als diese, immer wieder erhobenen Forderung der Kulturjournaille Künstler müssten ob ihrer vermeintlich besonderen Fähigkeiten etwas außerordentliches zur Verbesserung oder Heilung dieser gesellschaftlichen Realität beitragen

 

Ein Stockwerk darüber zeigt ein Lichtkünstler der ersten Stunde seine Arbeiten. „In seinen Kastln, wie Hans Schork sie bescheiden nennt, tauchen Lichtpunke auf und verschwinden unversehens im Dunkeln, um plötzlich an einer anderen, unvermuteten Stelle wieder aufzutauchen.
Linien kreuzen sich, Sternbilder entstehen und verlöschen im nächsten Augenblick. Man meint der Entstehung von Welten im fernen Kosmos beizuwohnen oder sitzt in einer fliegenden Untertasse und jagt über lichtsprühende Städte tief unten in dunkler Nacht. Ich zitiere das aus einem Katalogbeitrag zu einer Ausstellung in Schorks Heimatstadt Aschaffenburg. Weiter heißt es darin: Schorks Leuchtkästen sind zunächst einmal Ergebnis einer rein mechanischen Tüftelei, der sich der ehemalige Vermessungs-Ingenieur gern und ausgiebig hingibt. Nach einer Skizze mit Linien und Punkten fertigt der Lichtkünstler zwei schwarze Schablonen auf Plexiglas an. Die zweite, sich drehende Schablone wird von hinten beleuchtet und erzeugt für den Betrachter jene Lichtzaubereien an denen man sich nicht satt sehen kann:

 

Für mich haben Hans Schorks Leuchtkästen sogar etwas prophetisches – auch wenn ich mich damit – quasi in den Nachthimmel – weit aus dem Fenster hänge. Denn es ist, als würde uns Hans Schork Ersatz schaffen für den Verlust durch die zunehmende Lichtverschmutzung der für unsere Vorgenerationen noch selbstverständlichen Naturphänomene, die nur bei weitgehender Dunkelheit zu sehen sind, wie die Milchstrasse, die unmittelbare Erfahrung der Planeten, Sternschnuppen oder auch Glühwürmchen.

 

Nicht prophetisch dafür aber projiziert sind Florian Lechners Lichtraumzeichnung. Der vielbeschäftige, junge Florian Lechner selbst bezeichnet sein Werk als Lichtskulptur und beschreibt es wie folgt: Die Arbeit ist eine vor Ort im Raum entwickelte Lichtskulptur als Live-Performance auf Basis von Licht, bzw. Nichtlicht und den Faktoren Bewegung und Zeit. Die einzelnen grafischen Licht und Nichtlichtfelder tangieren die vorgefundene räumliche Architektur. Trotz des filmischen Charakters, liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf der räumlich dekonstruktivistischen Qualität. Auf dem Rechner läuft live im Loop die zur Entwicklung der Arbeit genutzte Präsentationssoftware.

 

Wenn man sich dieser zunächst an ein Schattenspiel erinnernden Performance aussetzt, erlebt man/frau die erstaunlichsten Dinge. Es ändert sich nicht nur ständig die Architektur des Raumes und seine Referenzpunkte, sondern auch der eigene Standort gerät ins wanken. Florian Lechner gelingt so auf das eleganteste nicht nur eine, mich zuweilen an das Bauhaus oder den russischen Konstruktivismus erinnernde Bilderfolge, sondern eine so ästhetisch, wie irritierende Infragestellung des eigenen Standpunkts

 

Ein, wie ich meine, wirkliches Highlight, um nicht zu sagen Blacklight dieser Ausstellung begegnet uns mit Gabriele Granzers „Raumtraum“ Es ist ein ca. 160 mal 160 großer Kubus aus in jeweils 30 cm Abstand an Nylonschnüre gehängten Tischtennisbällen. Die im abgedunkelten Raum und in Schwarzlicht getauchte Installation, scheint durch diese spezielle Illumination ein besonderes Geheimnis zu verströmen. Man kann nicht sicher sein, ob diese bläulich schimmernden Kugeln sich nicht jeden Augenblick in Bewegung setzten oder es vielleicht schon getan haben, als befände man sich mitten in einem künstlichen Kosmos nicht wahrnehmbar kreisender und schwebender Himmelskörper. Beeindruckend dabei ist wie soviel Leichtigkeit und Transparenz so wirkungsvoll, ja mächtig sein kann  Gabrieles Granzers Raum(t)raum scheint aber ganz so, wie das Licht selbst zu funktionieren; es stellt sich einem nicht entgegen, sondern umschließt den Betrachter und zeigt sich darin als besonderes emotionales Ereignis.

 

Eine abgekühltere Variante von Lichtkunst zeigt Thomas Rock in sechs Objekten. Thomas Rock spielt mit der Ästhetik von häuslichen Diashows bis urbanen Leuchtreklamen und schafft dabei teils absurde Zusammenhänge. Auch wenn beispielweise seine elegant mit farbigen Ledsleuchten variierenden Lichtspiele wie Dan Flavin oder John Armlehner daherkommen, ist doch die Ironie und der urbane Blick ganz unverkennbar Thomas Rocks Markenzeichen und in dieser Ausstellung sein Alleinstellungs-Merkmal.

 

Das Alleinstellungsmerkmal der besonderen Art aber befindet sich im Keller. Wir sind nämlich diesmal das Abenteuer eingegangen einen veritabeln Designer einzuladen und uns gemeinsam künstlerisch mit seinen Produkten auseinanderzusetzen. Herausgekommen dabei ist das Environment Daisy, eine Gemeinschaftsarbeit des Wasserburger Designers Gerhard Grimmeisen und mir mit einer kleinen akustischen Anleihe bei Stanley Kubrik. Die Aufgabe war Gerhard Grimmeisen preisgekrönte Designerleuchten in ein zweckfreies Kunstprodukt zu überführen. Also änderten wir Kontext und Funktion bis sich die noblen Designerarbeiten Gerhard Grimmeisens in schwebende und keiner weiteren Funktion zuzuordnende Objekte verwandelten. Einige von Grimmeisen erfundenen Tools dieser Leuchten beließen wir aber. So lässt sich beispielsweise eins, der im Gewölbe schwebenden Lichtflächen durch Gesten in Bezug auf Farbe und Helligkeit steuern. Ein anderes fährt einen vorprogrammierten Lichtfarbenverlauf ab.

 

Ich empfand Gerhards schwebende Leuchten als Super-Sience-Fiktion und insbesondere das Design, der in eine quadratisch Flache gebetteten runden Halbkugel, die im übrigen seit neuesten unsere Standardgaleriebeleuchtung ist. Science-Fiktion-konditioniert, wie wir waren erinnert mich diese Lichthalbkugel an HAL. HAL ist der Computer in Stanley Kubriks berühmten Science-Fiktion-Klassiker „Odysee 2001“ Auf der Reise zum Jupiter versucht HAL sich von der menschlichen Besatzung zu emanzipieren, indem er sie umbringt. Ein überlebender Astronaut kann ihn im letzten Moment deinstallieren. Während dieses Prozesses bitte HAL um sein Leben und verliert von deinstallierter Festplatte zu Festplatte seinen Verstand. Am Ende bleibt nur sein Testlaufprogramm, welches mit ersterbender Stimme das englische Kinderlied „Daisy Daisy“ singt. und Gerhard Grimmeisen und ich fanden, dass wir mit dieser Kombination nun endgültig in einem Kunstraum angekommen waren.

 

Am Ende dieser Rede wollte ich eigentlich schon loslegen mit meiner Kritik am turbokapitalistischen Kunsthandel und der zunehmenden Kommerzialisierung von Lichtkunst, insbesondere Lichtkunstfestivales. Dann erinnerte ich mich aber rechtzeitig an den Titel unsere Ausstellung, der ja auch mit „Wasserburg leuchtet“ beginnt, ganz sowie unser städtisches Lichterfest. Es liegt nahe, dass „Wasserburg leuchtet“ den Titel von Thomas Manns Novelle „München leuchtet“ adaptiert, der eigentlich „Gladius dei“ heißt; das göttliche Schwert. „In dieser literarischen Karikatur vom rächenden Schwert Gottes attackiert Thomas Mann auf ironische Weise den sterilen Kunstbetrieb seiner Zeit im Allgemeinen und den florierenden Münchner Renaissancekult im Besonderen. Der Begriff Renaissance steht hier für eine Zeit ohne eigene Kreativität, in der es nur noch möglich ist, Vergangenes zu reproduzieren, das heißt bloße Imitationen zu schaffen, ja einfallsloser noch: bloße Fotos von Imitationen, also Reproduktionen von Reproduktionen anzufertigen. Kunst wird auf Dekor reduziert. An die Stelle des ursprünglichen Kunsterlebnisses tritt eine voyeuristische Konsumentenhaltung. Nur als Ware hat Kunst noch eine Funktion. Nicht mehr der Künstler, sondern der sich als Kunsthändler aufspielende Kaufmann bestimmt ihre Bedeutung. Doch auch der Kritiker solch kommerzieller Reproduktivität gerät zur bloßen Reproduktion, nämlich die des Girolamo Savonarola. Als Kopie seines Renaissancevorbilds wird er selbst zum lächerlichen Epigonen und sein flammender Protest zum bloßen Abklatsch.“

 

Vieles aus Thomas Manns Novelle ließe sich auf den heutigen Kunstbetrieb übertragen, ebenso auf die heutige Kunstkritik. Um nun nicht ein ähnliches Schicksal, wie das des aus dem Kunstladen geschmissenen Protagonisten Hironymus zu provozieren, geschweige denn das des gelynchten Savonarola beende ich hiermit meine Laudatio Ganz zum Schluss aber möchte ich noch auf die Performance von DJ Bassinkys aufmerksam machen, der entgegen seiner Gewohnheit heute seinen Auftritt mit dem Rücken zum Publikum gestaltet, flankiert von einer Videoprojektion auf der Gruberfassade gegenüber, alle ein bisschen ironisch aber bestimmt nicht weniger unterhaltsam.

 

Stefan Scherer | 16.09.2016

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