Stefan Scherer | Kunst und Texte | Breitschwerdt, Krinner | 09.05.2015 – Galerie im Ganserhaus
Meine erste Idee oder These, – nachdem ich die Ausstellung von Dieter Breitschwerdt und Rosa Maria Krinner so aufgebaut sah, wie sie sie jetzt hier erleben können – war erstmal folgende: Ohne irgendetwas zu wissen über Kunst, – wenn einem das als Mitteleuropäer überhaupt möglich ist – oder ohne einen Plan, wie man sich Kunstwerken nähert oder als solche erkennt, geriete man in dieser Ausstellung schnell an die Vision sich in einer merkwürdigen Schau ritueller Gegenstände aus fremden Kulturkreisen zu bewegen. Seltsame Geräte, geheimnisvolle Fundstücke, Reliquien oder mystische Objekte unbekannter Zeremonien, dazwischen kleine Zettel, Skizzen und Merkblätter damit man nicht vergißt wo es langgeht, kleine, verspielte Wachsköpfe gefolgt von Gegenständen, die in ihrer düster-rußigen Erscheinung zumindest in meiner Vorstellung eine Art Industrie-Voodoo erzeugen. Auch überkam mich bei der Platzierung der Arbeiten in die verschiedenen Räume des Ganserhauses immer wieder die Vorstellung ich flöge durch die verschiedenen Ebenen einer Wolkendecke. Es ist nicht so lange her, dass ich das auf einer Flugreise erlebte und ganz fasziniert war vom schnellen Wechsel dieser dampfigen Helligkeiten und dunklen Nebel, mal ganz dicht und gleich wieder sonnig-transparent; und ich könnte meinen ersten Gang durch die Werke Dieter Breitschwerdts und Rosa Maria Krinners nicht besser beschreiben. Rosa Maria Krinner, leicht, zart und witzig mit vielen kleinen assoziativen Spielereien als Bleistiftzeichnungen, in Wasserfarben oder in Tusche geronnenen Gedankensprüngen; und heute mit und auch gegen Dieter Breitschwerdts, schweren, oft düsteren und immer ein wenig dramatischen Szenerien einer rußigen Werkstatt in der er unter bräunlicher Patina seinen Weltuntergang sortiert.
Wie Feuer und Wasser – die Beiden – dachten wir am Anfang. Ob das geht? Es gab nämlich, bevor die Ausstellung in dieser Form zustande kam einige Hürden zu überwinden. So hatten wir in unserer Ausstellungsplanung Dieters Arbeiten immer wieder thematisiert u.a., weil er seit Jahren, – eigentlich Jahrzehnten – an der großen Wasserburger Kunstausstellung teilnimmt und nicht zuletzt wegen der besonderen Qualität und Originalität seines Werkes. Bei der Recherche fand ich dann sogar heraus, dass er 1988, also schon vor über 25 Jahren im Ganserhaus ausgestellt hatte, was nicht nur ein Zeichen für seine kontinuierlich hohen Standard ist, sondern auch für den des Ganserhauses. So baten wir Dieter bei uns auszustellen und auf seinen Vorschlag hin zusammen mit seinem Kollegen Hans Schnell, – einem Freund noch aus der Studienzeit mit Günther Förg und Prof. Dahmen – , der aber leider absagen musste. Dann war ersatzweise und auf Empfehlung, mein Vorgänger, Kurator und Ex-Vorstand des AK68 Andreas Pytlik im Gespräch. In den Verhandlungen stellten sich dann aber – und ganz unabhängig von Dieter Breitschwerdt – überraschend unüberwindliche Differenzen heraus, was der Vorstand und ich bis heute ein wenig ratlos bedauern. Noch bevor aber sich all das entwickeln konnte, hatten wir Rosa Maria Krinner schon in den ersten Sitzungen als Partnerin für Dieter Breitschwerdt im Gespräch und empfanden es als glückliche Fügung, dass sich unserer Ursprungsidee jetzt doch so entschlossen durchsetzte. Rosa Maria Krinner begriffen wir nicht nur als inspirierend – zündenden Gegensatz zu Dieter Breitschwerdts Arbeit; wir wollten sie nicht zuletzt auch deswegen, weil sie seit Jahren das „polarisierende Phänomen“ in den Gästebucheinträgen unsrer großen Kunstausstellung ist. Es gibt überhaupt niemanden über den dessen „Krickeleien“ und „klecksenden Duktus“ der Vorwurf der Kunstverarsche in unseren Gästebüchern so hereinbricht, wie über Rosa Maria Krinner. Und immer ist es das Publikum mit dem „gesunden Menschenverstand“.
Um so schöner ist es für mich, dass ich hier Gelegenheit habe über Rosa Maria Krinners und Dieter Breitschwerdts Positionen zu sprechen, über künstlerische Haltung und den hilflos-gesunden Menschenverstand in der Erkundung vom Sinn- und Bedeutungsangebot eines Kunstwerks. „Beginnen wir mit Dieter Breitschwerdts Objektkästen“ und ich zitiere das aus einem Artikel von 1988 anlässlich seiner Ausstellung im Ganserhaus, weil dieser Text bis heute seine Gültigkeit hat: „…ein Spurensucher, Fundstücksammler, Archäologie der Gegenwart, Ästhetik des Archaischen, Poesie des Abfalls. Dazu die Ästhetik der Materialien, Aststücke, Ledermanschetten, fettschwitzende Käserinden, Knochen, Holzscheiben, wie sie Bahnschienen unterlegt sind, gespannte Pergamentflächen, Hartgummistücke und Wattebinden. Ein Sammelsurium, das man vergeblich nach vermuteten Bedeutungskriterien zu ordnen versucht.“ Dabei gilt Dieter Breitschwerdt machen sogar als Ordnungsfanatiker; übrigens mir auch. Dazu komme ich aber noch.
Das ordentlichste was ich über Dieter Breitschwerdt fand, ist erstmal ein kleiner, einleitender Absatz über seine Vita: Dieter Breitschwerdt, Jahrgang 1945, gelernter Schriftsetzer, war Meisterschüler in der Klasse von Karl Fred Dahmen an der Münchner Kunstakademie. Sein Verhältnis zu den weggeworfenen, missachteten Requisiten unserer Alltagswelt verweist noch heute auf diese Ausbildung, wie bei so vielen Schülern dieser Klasse, – zu denen auch der erst kürzlich verstorbenen Günther Förg gehörte. Andere Rezensenten beschreiben Dieter Breitschwerdt als geistigen Erben von historischen Kreativbewegungen, wie Dada und Fluxus, welche das unscheinbare Alltagsfundstück zur Gestaltungsgrundlage machten, mit dem Unterschied allerdings, dass Breitschwerdt anders, als seine rebellischen Kollegen und Antikünstler von Dada bis Fluxus ein Schönheitsfanatiker und Perfektionist sei. Ich würde Dieter Breitschwerdt darüber hinaus als melancholischen Superästheten bezeichnen mit einem ausgeprägten Ordnungssinn, den ich übrigens allen bildenden Künstlern unterstelle.
Diese Melancholie oder Nachdenklichkeit empfand ich besonders in seiner „Werkstatt“. Mit Werkstatt meine ich unseren Ausstellungsraum im 1. Stock, in dem Dieter Breitschwerdt seine Objekte entgegen aller üblichen Galerieästhetik, wie beiläufig verteilt hat. Dieser Raum, diese Werkstatt ist jetzt ein mystischer Ort, die Garage eines Manikers, das Doku-Zentrum vom letzten Weltuntergang, vielleicht aber auch das Stadtbauamt von Gotham-City. Fast alle seine Objekte haben diesen eigenartigen Charakter des Übriggebliebenen, Kultigen und man fahndet unwillkürlich nach deren Nutzen oder Bedeutung. Mitten im Raum ist ein Tisch, der übersäht ist mit kleinen Objekten, die in ihrer düster-rußbeschmutzten Masse wirken, wie die erkaltete Schlacke der industriellen Revolution. Und auch die kleinteiligen, spielzeughaften Häuschen, Treppen und Dachkonstruktion sehen aus als seien sie lange in Gebrauch gewesen und erinnern mich eher an die graubraune Bergarbeitersiedlung meiner Ruhrpott-Verwandschaft als an nette Miniaturen oder saubere Architekturmodelle, die sie ja einstmals hätten sein können. Bernd Zachow fast diese Stimmung sehr treffen zusammen in dem Satz: „Die Materialkollagen und Assemblagen von Dieter Breitschwerdt verbreiten nicht selten eine Atmosphäre von Brutalität und Bedrohung.“
Aber es gibt auch den humorvoll-ironischen Breitschwerdt. Am Ausgang seiner „Werkstatt“ befindet sich eine Art Altar oder Gebetsecke. Dort gibt’s ein bisschen Voodoo, ein bisschen alte Zeitung und die Erkenntnis: „Nichts ist sicher, schon gar nicht in der Kunst“, über die man ganz am Ende und mittels eines Allgäuer Käses im Objektkasten noch mal meditieren kann.
Meditation ist aber auch ein gutes Stichwort für die Arbeiten von Rosa Maria Krinner. Ich war von Anfang sehr eingenommen von ihren Papierarbeiten, vor allem aber den Wandinstallationen, samt ihrer skurrilen kleinen Blättchen aus Abreißblöcken. Dabei ist Rosa Maria Krinner sehr darauf bedacht in einer fast radikalen Anspruchslosigkeit ihre Arbeiten zu präsentieren. An Beiläufigkeit kaum zu überbieten heftet sie ihre Zeichnung an unsere ehrwürdigen Galeriewände, die jetzt auf mich herabblicken, als wollten sie sich entschuldigen für diese ungewohnte Unterforderung. Wenn man Rosa Maria Krinners Kunstblättchen aber näher tritt, eröffnet sich auf diesen kleinen Zetteln ein ganzer Kosmos, ein Weltall voller Zeichen, kryptisch und geheimnisvoll, als sähe man durch viele kleine Fernrohre in die Welt der Rosa Maria Krinner. Und um zurückzukommen auf mein Stichwort Meditation und auch vielleicht zur Ehrenrettung der in unseren Gästebüchern oft so missverstandenen Farbfleckenästhetik von Rosa Maria Krinner, würde ich ihnen gerne etwas aus meiner Kindheit erzählen.
Als Kind war ich im Internat. Und weil´s dort immer ziemlich streng und strukturiert zuging, mussten wir auch im Sommer spätestens um neun ins Bett. Draußen war es aber noch hell und an Schlaf überhaupt nicht zu denken. Lesen war verboten. Jetzt hatte ich über meinem Bett an der Decke einen Wasserfleck. Der war mein ganzes Abendprogramm. Aus seiner graubräunlichen Form ließen sich im Dämmerlicht tausend andere Formen bilden und auch in seinem fleckigen Innenleben, konnte ich Schlachten schlagen, Raumflotten durchs Wasserflecken-All jagen oder tausend Rinder durch die Flecken-Prärie. Am Anfang meines Malerlebens hab ich immer versucht das zu malen, was mir in den Flecken erschien. Heute versuch ich´s mit dem Flecken selber und so sind mir Rosa Maria Krinners Farbflecken aus denen sie ihre Köpfe und Gesichter kreiert, wie gute alte Bekannte oder wie die Ursuppe aus der ich persönlich meine Ästhetik fische. Und ebenso empfinde ich Rosas schlichte Direktheit, die ihre Arbeiten so radikal wirken lässt und gleichzeitig vorm Musealen schützt. Denn durch Verlust der Radikalität, wird jede Kunstform museal und nur noch erinnert. Damit verliert sie die Bedeutung für die Gegenwart und die Möglichkeit der Einflussnahme.
Aber jetzt ein bisschen Vita und was andere über Rosa Maria Krinner sagen und schreiben. Rosa Maria Krinner studierte nach der Pädagogik an der Uni Regensburg, der Arbeit am Theater und bei Filmproduktionen von 1980 bis ´86 freie Malerei an der Kunstakademie in München bei Prof. Tröger. Im Pressetext einer Ausstellung im Zentralinstitut für Kunstgeschichte fand ich folgendes über ihre Arbeiten und deren Geschöpfe: “Den Zustand menschlicher Geworfenheit vermitteln die Köpfe, die Rosa Maria Krinner in Aquarelltechnik auf das karierte Papier eines einfachen Spiralblocks malt. Ihre Bilder entstehen mit Wasserfarben aus dem Malkasten, Bleistift, Filzstift und unprätentiösen Beimischungen, wie etwa Zigarettenasche und Kaffee. Aus wolkenartig ineinanderfließenden Grau,- Rosa- und Blautönen zeichnen sich Gesichter ab mit individueller Physiognomie.“ Als Fortsetzung in die dritte Dimension formt Rosa Maria Krinner ihre Wesen und Gesichter aber auch in Wachs und bleibt dabei in ihrer Ausdrucksweise und gestalterischem Minimalismus gleichbleibend radikal. Daneben kreiert Rosa Maria Krinner seit 1990 sogenannte „Maschinen“ oder „Kunstmaschinen“. Die „hannoversche Seelenreinigungsmaschine“ aus der Serie für „psycho-soziale Angelegenheiten“ ist mit der „Dampfablassmaschine“, die gerade in der Münchener Seidlvilla zu sehen ist, die Weiterentwicklung ihrer 11-teiligen Serie „Little Chicago“. Bei uns im Kellergewölbe können Sie die hannoversche Seelenreinigungsmaschine als spuckenden Karton erleben. Und ich verwende diesen eigentlich zu flapsigen Begriff „spuckender Karton“ hier deswegen, weil er mir hilft die Kurve zu kriegen zu meinen Anfangsthesen über den gesunden Menschenverstand und das offene Bedeutungsangebot von Kunstwerken.
Wenn man so will ist der gesunde Menschenverstand oder Wahrheitssinn, den wir immer wieder in den Kommentaren unserer Besucher erleben dürfen, im besten Sinne ein Art kritischer Rationalismus und allermeistens auch völlig aufrichtig. Das Missverständnis liegt nun darin – nichts Neues – dass dieser Wahrheitssinn, oder „common sense“ sich auf Erfahrungen und Einschätzungen bezieht, die in der Welt der Poesie und Intuition keine Bedeutung haben. Umso mehr aber besitzt dies unsere sinnliche Wahrnehmung. Sie eröffnet uns als emotionales Ereignis eine Erfahrungswelt, die fernab von der Vorstellung eines „Normalverstandes“, der alltäglichen Erfahrung, oder einem allgemeinen geteilten Verständnis der Dinge funktioniert. Damit aber bereitet sie uns den Weg in die große Offenheit des Bedeutungs- und Sinnangebots von Kunstwerken.
Also haben wir natürlich im Keller einen spuckenden Karton und an den Wänden eingerahmte Abfallfunde. Aber wie alles in unsere Welt, ist es unser Blick, unsere Emphatie und unsere Vorstellungskraft, die den Phänomenen unseres Planeten ihren Wert gibt. Und gerade deshalb ist diese Ausstellung ein wunderbare Gelegenheit, die Kraft künstlerischer Intuition und Inspiration zu erleben, die in der Lage ist den profansten Materialien Schönheit zu verleihen, uns vor allem aber erlöst aus unserer alltäglichen rationalen Gebundenheit in die erfrischend, geistige Freiheit der offenen Bedeutungs- und Erfahrungsangebote, wie sie nur in der Kunst zu finden sind.
Stefan Scherer | 09.05.2015
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